Pubertät – Loslassen und Haltgeben
Zahnradbahn, und wieder andere fahren nicht nur vorwärts, sie fahren zurück, um zu schauen, woher sie gekommen sind.
Veränderungen im Denken
Eine weitere Entwicklungsaufgabe liegt darin, das geistig-seelische, intellektuelle und soziale Denken neu zu bestimmen. Auch dieser Prozess verläuft keineswegs frei von Widersprüchen. Eltern machen sich Sorgen wegen der unbeherrschten Gefühlsausbrüche, einer Alles-oder-nichts-Haltung. Jugendliche neigen zum Schwarzweißdenken und lehnen schroff ab, was ihre Eltern meinen, sagen oder planen.
Die produktive Auseinandersetzung mit den Eltern – die in der beginnenden Pubertät auch viele destruktive Züge hat – ist für Heranwachsende immens wichtig. Sie setzen sich nicht allein von den Eltern ab, sie setzen sich mit ihnen auseinander, ohne die gefühlsmäßige Bindung völlig aufzugeben. So paradox es klingt: Die Ablehnung und Herabsetzung der Eltern, die manchmal gemein sind und wehtun, gelingen Pubertierenden nur dann, wenn es ein Urvertrauen zwischen Eltern und Heranwachsenden gibt, ein Band, das Spielraum ebenso zulässt wie starke Anspannung aushält.
Diese Auseinandersetzungen resultieren vor allem aus unterschiedlichen Wahrnehmungen von Problemen und auch daraus, dass Eltern wie Heranwachsende sich auf unterschiedlichen Etappen des Lebensweges befinden. Die Absetzung von den Eltern eskaliert nur dann ins Bösartige, wenn Heranwachsende ihre Eltern als klammernd und überbehütend erleben. Jugendliche reagieren krass und oft mit Provokationen darauf, wenn sie einem starren Erziehungsstil ausgesetzt sind, der ihren sozialen Veränderungswünschen keine Rechnung trägt.
Und das Auffallenwollen ist nicht selten eine Ausdrucksform, um auszuprobieren, wie weit man gehen kann und darf. Disziplinlosigkeit und andere störende Verhaltensmuster sind genau zu beobachten – und dann sollte man gegebenenfalls mit Konsequenz und unmittelbarer Konfrontation reagieren.
Doch nicht immer agieren Pubertierende nach außen orientiert, manch ein geheimnisvoller Blick wendet sich nun nach innen. Die Pubertät ist die Zeit des Tagebuchs, in dessen Mittelpunkt Selbstreflexionen stehen, in dem Größenphantasien zum Ausdruck kommen, Hypothesen gebildet werden und kausales Denken ausprobiert wird. Da heißt es im Tagebuch des 1 4-jährigen Paul:
«Paul ist eines der gesündesten Kinder, so scheint es auf den ersten Blick. Paul trainiert täglich eine Stunde seinen Körper in verschiedenen Kampftechniken und Ausdauer. Außerdem geht er jeden zweiten Tag seinem Fitness-Programm nach. Er hat dieses Fitness-Programm selbst ausgearbeitet. Paul ist im Besitz hervorragender Energie. Paul hat seinem Freund sein Fitness-Programm mal gezeigt. Der hat gestaunt. Es ist eines der besten auf der Welt. Paul hat eine niedrige Körpertemperatur, ca. 35,3 °C . Pauls Körper kann sehr viel Hitze ab. Er duscht morgens und abends sehr heiß. Paul hat an seinem linken Arm viele Narben. Pauls rechtes Bein ist ca. 2 cm kürzer als das linke. Sein rechtes Bein hat außerdem einen dünneren Umfang als das linke. Paul hat seine stärksten Muskeln in den Beinen. Pauls Wirbelsäule ist krumm. Durch den krummen Rücken hat Paul eine Hühnerbrust bekommen. Pauls Geist ist sehr ideenreich. Pauls Körper braucht täglich nur fünf Stunden Schlaf. Paul ist eine richtige Kampfmaschine, aber er kämpft nur gegen ‹böse Personen›. Paul kennt alle Seiten des Lebens: Angst, Tod, Trauer, Liebe. Pauls Freunde sind meistens jünger, da sie alles sehen und wiederfinden möchten, was in seiner Kindheit fehlte. Sein bester Freund ist elf Jahre alt. Paul sucht sich seine Freundin nach dem Herzen aus. Er geht nicht nach dem Aussehen. Paul versucht mit seinem Leid immer allein zurechtzukommen. Er birgt viel Angst in sich. Paul hat sich nach dem Tod seines Opas zurückgezogen. Seitdem ist er auf eine bestimmte Zeit, allein zu sein, angewiesen, ohne sie kann er nicht mehr auskommen. Paul führt ein risikoreichesLeben. Er möchte später Kinderpsychologe werden. Paul hat viel Streit zu Hause. Paul ist wie Robin Hood, er rettet den Regenwald. Auf Paul wartet die ganze Welt!»
Dieser Tagebuchausschnitt gibt ein anschauliches Zeugnis von einem egozentrischen Weltbild, wie es für die beginnende Pubertät normal ist.
Diesen Egozentrismus muss der Pubertierende aufgeben und lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sich von außen zu betrachten, eigene Überlegungen anzustellen und Modelle zu entwerfen,
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