Pubertät – Loslassen und Haltgeben
zornig, wenn der Alltag nicht so ist, wie ich ihn mir vorstelle oder vorgestellt habe. Natürlich erschweren Frustrationen, die sich aus den elterlichen Erziehungsaufgaben ergeben, diesen Alltag erheblich. Vielleicht aber lassen sich Frustrationen auch anders bewerten: «Es ist blöd, dass ich momentan die permanenten Schwierigkeiten mit meiner Tochter habe. Aber ich denke, ich lerne irgendwann, damit umzugehen.» Oder: «Furchtbar, dass es jetzt dauernd Probleme mit seiner Bummelei gibt. Aber ich denke, ich finde dafür eine Lösung. Ich lasse mir Zeit!» Die Alltagssituationen selber frustrieren weniger als die Meinungen und die Einstellungen, mit denen man viele Erziehungssituationen bewertet. Eltern und Pädagogen konstruieren ihre eigene Erziehungswirklichkeit, indem sie sie positiv oder negativ deuten.
«Wenn ich daran denke», so nochmals Anna, «was ich in meinem Leben mit Lena schon alles falsch gemacht habe, dann wird mir übel.»
«Wie ist denn Ihre Lena?», frage ich. Anna winkt ab, dann lächelnd: «Sie ist einfach toll!»
«Dann haben Sie vielleicht tolle Fehler gemacht!» Sie schaut ungläubig, etwas verständnislos. «Und was würde Lena sagen, wenn sie hier wäre?»
«Dass ich, glaube ich, absolut normal bin. Mir viel zu viele Gedanken mache. Und dass sie mich mal auf den Mond schießen und dann wieder in mich hineinkriechen möchte.»
Viele Eltern meinen, gerade in Ratgebern Fehler in der eigenen Erziehung zu entdecken und bekommen ein schlechtes Gewissen. Falsch ist aber nur dann etwas, wenn man weiß, was richtig ist. Das Wissen über Erziehungsfragen nimmt enorm zu. Das macht die Erziehung jedoch nicht nur leichter, das bedingt auch Handlungsunsicherheiten. Eltern lesen von den problematischen Auswirkungen bestimmter Erziehungsstile. Sie fühlen sich verunsichert, fragen sich, welche Auswirkungen ihr Handeln bei ihren Kindern bewirkt hat. Und manche Eltern stellen nun fest, dass ein Fehler, der objektiv einer war, vom Kind produktiv verarbeitet worden ist. Denn Heranwachsende sind nicht allein Opfer, sie sind Gestalter ihrer Welt. Dies darf nicht als Freibrief dafür missverstanden werden, den Willen der Heranwachsenden zu brechen. Wenn Eltern ihre Kinder regelmäßig sprachlich oder auch körperlich züchtigen, dann handeln sie eindeutig falsch: Die verhängnisvollen Folgen, die sprachliche oder körperliche Attacken für die Entwicklung in der Pubertät haben können, sind mittlerweile bekannt. Sätze wie «Ein paar Schläge haben noch nie geschadet» drücken nicht allein den fehlenden Respekt vor der Persönlichkeit des Heranwachsenden aus, sie beschreiben auch die Unfähigkeit, nach Möglichkeiten für einen partnerschaftlichen Weg in den Erziehungsbeziehungen zu suchen.
So ist es wichtig, mit Sensibilität den Fehlern im pädagogischen Handeln nachzuspüren, um dann an deren Überwindung zu arbeiten. Das hat jedoch nichts zu tun mit Selbstanklage, Selbstmitleid und Selbstbezichtigung. Wer Energie in die Vermeidung von Fehlern steckt, wer es beim Ärger über gemachte Fehler belässt, handelt rückwärtsgerichtet – und wird die Fehler ständig wiederholen. Wichtiger, folgen- und erfolgreicher erscheint es, sich einzugestehen: «Fehler gehören zu mir.» Oder: «Ich kann Fehler machen.» Damit akzeptiert man seine Fehler als Teil der eigenen Persönlichkeit und kann nach Wegen suchen, Konflikte anders zu lösen. Glauben Sie mir: Es ist schwieriger, Fehler in der Erziehung ständig zu vermeiden, als sich den Schwierigkeiten offensiv zu stellen.
HALT GEBEN UND BEZIEHUNG HERSTELLEN
Mit dem Beginn der Pubertät wandeln sich die Erziehungsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern. Heranwachsende wollen mehr Selbständigkeit, Eigenverantwortung, wollen Eigentätigkeit beweisen. Dieser Prozess geht oft mit einer Abwertung, gar Ablehnung der Eltern einher.
«Wenn ich auf der Straße», so eine Mutter, «meinen Sohn treffe, der mit Freunden unterwegs ist, übersieht er mich glatt. ‹Ist das nicht deine Mutter?›, hat neulich einer seiner Kumpels gefragt. Und mein Sohn drehte sich kurz und sehr genervt um und meinte: ‹Ach ja. Is’ sie.› Das irritiert mich schon.» – «Meine Tochter macht mich fürchterlich an, wenn ich mich chic anziehe und schminke», klagt eine Mutter. «‹Du bist wohl in den Tuschkasten gefallen›, ist noch die mildeste Formulierung. Als ich neulich ein modisches Kleid trug, hat mein Sohn gemeint, ich sei doch sowieso jenseits von Gut und Böse.»
Wieder andere
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