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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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erinnert, deutet sie als Fehler. Dann hat Anna das Gefühl, in väterliche Bahnen abzugleiten. Um einen eigenen Stil in den Erziehungsbeziehungen zu entwickeln, ist es unabdingbar, dass sich Eltern von ihren eigenen Eltern innerlich lösen. Nur so entsteht eine Distanz, die es möglich macht, elterliche Anteile in sich anzunehmen und zu akzeptieren, nur eine Distanz lässt es zu, produktive und problematische Momente in der eigenen Kindheit und Jugend differenzierter zu betrachten. Wer zu nahe am Geschehen ist, bleibt auf die Verletzungen und Narben fixiert oder verliert sich in einer die Vergangenheit verklärenden Sichtweise. Um einzuschätzen, welche Bedeutung das Erziehungsverhalten der Eltern für das eigene erzieherische Handeln in der Gegenwart hat, empfiehlt sich die Beantwortung zweier Fragen:
Welche pädagogischen Handlungen habe ich in der eigenen Erziehung als konstruktiv, als persönlichkeitsstärkend erlebt? Wie haben meine Eltern diese Handlungen umgesetzt? Wo tauchen diese positiv erlebten Handlungen in der Erziehung auf?
Welche pädagogischen Handlungen meiner Eltern habe ich als einschränkend, bevormundend und erniedrigend erlebt? Wer oder was hat mir damals geholfen, mit diesen Erziehungsfehlern fertig zu werden?
     
    Die Klärung dieser beiden Fragenkomplexe kann zu mehr Gelassenheit im Umgang mit elterlichen Anteilen führen. Väter und Mütter, die alles anders machen wollen als die eigenen Eltern, überwinden häufig positive pädagogische Handlungsmuster, die es doch aufzuheben, aufzubewahren und fortzuentwickeln gilt. Wer alles anders machen will, beraubt sich seiner Wurzeln, bricht mit positiven Traditionen. Solchen Eltern ergeht es wie einem Baum ohne Wurzeln – jedes kleine Lüftchen schmeißt ihn um. Eltern ohne pädagogische Wurzeln machen sich abhängig von pädagogischen Moden, drehen sich immer schneller im Kreis und wissen am Ende nicht mehr, an was sie sich halten sollen.
    Es anders zu machen als die eigenen Eltern ist dort unabdingbar, wo sie als Erniedrigung und Zurichtung empfunden wurden. Wer diese Anteile an sich heranlässt, sie in der Distanz aushält, stellt fest, wie man als Kind mit diesen Erziehungspraktiken umgegangen ist, wie man gelernt hat, für sein körperliches und seelisches Überleben zu sorgen. Mir geht es nicht um eine nachträgliche Verklärung von Fehlern nach dem Motto: «Es war alles halb so schlimm!» Vielmehr soll diese Perspektive aufzeigen, dass selbstbewusste Kinder Erziehungsfehlern keinesfalls nur hilflos ausgeliefert sind, sondern dass sie eigene Strategien für den Umgang mit Fehlern entwickeln.
    «Aber was heißt das jetzt für mich?», insistiert Anna. «Ihre Überlegungen habe ich wohl verstanden.» Anna legt Wert darauf, anders zu sein als ihr Vater, der seinen Willen ihr gegenüber durchsetzte und für sie Macht und Kontrolle verkörperte. Anna will ihre Überzeugung durch Einsicht vermitteln und übersieht dabei, wie sie ihre Tochter gleichfalls manipuliert, ja, nach ihrem Bild und ihrer Meinung zu formen versucht. Auch sie übt Macht aus. Lena spürt das, provoziert ihre Mutter so lange, bis die Maske fällt. Da Anna die positiven («Ich wusste, woran ich bei ihm war!») und negativen («Er wusste immer alles besser!») Anteile des Vaters in einen Topf warf, setzte sie sich undifferenziert mitder eigenen Vergangenheit auseinander. Das kann für Anna nicht bedeuten, das machthungrige Verhalten ihres Vaters zu kopieren, sie sollte ihrer Tochter vielmehr Halt und Orientierung vermitteln. Anna kann ihrer Tochter zeigen, woran sie bei ihr ist. Und zwar ohne Manipulation. Es bringt zweifelsohne Reibung und Konflikte mit sich, eine eigene Meinung zu vertreten. Da Anna Konflikte früher als Bevormundung und Erniedrigung erlebt hat, vermeidet sie die Auseinandersetzung, labert, um Lenas Einverständnis zu bekommen. Dabei stehen Annas Konflikte mit Lena auf einer anderen Basis, sie sind nicht von Besserwisserei, sondern von Respekt geprägt. Ein machtorientierter Erziehungsstil löst Unterwürfigkeit, Anpassung, den Verzicht auf einen eigenen Standpunkt aus. In einer partnerschaftlichen Beziehung hingegen ist die Auseinandersetzung getragen von dem Gefühl gegenseitiger Annahme.
    «Das ist mir jetzt klar», meint Anna. «Trotzdem werde ich sauer, wütend, wenn mir Fehler passieren – und gerade, wenn mich das an meinen Vater erinnert.» Im Grunde sind es irrationale Überzeugungen, die derartige Probleme hervorrufen: Ich werde ärgerlich, ich werde

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