Pubertät – Loslassen und Haltgeben
ständig auflaufen, und irgendwann habe ich die Schnauze voll. Dann geht das ganze Spiel von vorne los.»
Tatsächlich lässt sich konsequentes pädagogisches Handeln nur dort produktiv und kreativ umsetzen, wo es um die Klärung eines Sachkonflikts geht – sei es beim Aufräumen, bei der Bummelei, der Mithilfe im Haushalt, der Ausgehzeit, dem Besuch bei Freunden, der Fernsehdauer, dem Umgang mit dem Computer usw. An der Klärung eines Sachkonflikts sind zumeist alle Beteiligten äußerst interessiert.
Aber nicht immer geht es bei Grenzüberschreitungen um die Klärung eines sachlichen Problems, manchmal verbirgt sich hinter dem Konflikt um eine Sache – z. B. dem aus der Sicht der Eltern maßlosen Computergebrauch – ein Beziehungskonflikt. Anders ausgedrückt, der Pubertierende stört, missachtet – bewusst oder unbewusst – Regeln, um Aufmerksamkeit zu erhalten, um die Unangemessenheit einer Konsequenz aufzuzeigen, oder will sich schlichtweg an den Eltern rächen.
«Aber woran erkenne ich», fragt Arthur Metzger, Vater des 1 3-jährigen Falk, «ob ich in einem Beziehungsclinch stecke oder ob es mir und meinem Sohn um eine Auseinandersetzung bezüglich einer Sache geht. Seit Wochen gibt es bei uns Streit um die Fernsehdauer. Es gibt Absprachen, dass er spätestens um 21.00 Uhr damit aufhört, dann zu Bett geht. Das funktioniert aber nur noch mit Druck oder einer Konsequenz: Wenn er die Grenzen missachtet, darf er am nächsten Tag weniger sehen!»
«War Falk mit der Regel einverstanden?», frage ich den Vater.
Er nickt.
«Wann haben Sie die Absprache getroffen?»
«Vor zwei Jahren!» Er stockt kurz. «Und in der ersten Zeit klappte es hervorragend. Ich war stolz, eine Lösung gefunden zu haben. Aber seit einiger Zeit ist es wie verhext!»
«Was meinen Sie», frage ich den Vater, «kann Ihr Sohn die Grenze nicht einhalten, oder will er sie nicht zur Kenntnis nehmen?»
«Er will nicht», sagt er spontan.
«Wenn er das nicht will, was will er denn?»
Er zuckt mit den Schultern. «Wenn ich das bloß wüsste!» Er wirkt irritiert. «Er bekommt doch alles!»
«Ihr Sohn will gewiss nicht alles», sage ich ihm, «er will etwas Bestimmtes, das ihm momentan fehlt!»
«Aber wie soll ich das herausbekommen?»
«Was bekommt Falk, wenn er stört, z. B. länger fernsieht?»
«Na ja, meinen Ärger, meine Wut …»
«… also Aufmerksamkeit, Zuwendung!»
«Aber die hat er doch genug!»
«Ich glaub, Sie haben recht, Sie geben ihm jede Menge Zuwendung. Aber vielleicht in speziellen Momenten nicht die, die er dann haben möchte! Was meinen Sie, worauf will Falk aufmerksam machen?», will ich vom Vater wissen. Herr Metzger ist ratlos. «Sie haben», so versuche ich ihm auf die Sprünge zu helfen, «die Regel vor zwei Jahren aufgestellt. Da war Falk noch jünger, brauchte mehr Anleitung, Führung, und nun …»
Falks Vater unterbricht mich: «Falk ist gewachsen, größer geworden, selbständiger. Soll ich die Grenze 21.00 Uhr aufgeben? Bin ich da zu hart, zu engherzig?»
«Nur nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Aber vielleicht über eine neue Grenze nachdenken und vor allem Falk an dieser Festlegung beteiligen.»
Ein paar Wochen später erzählt mir Arthur Metzger, man habe vereinbart, dass sein Sohn wochentags nach wie vor um 21.00 Uhr «mit dem Fernsehen aufhört, aber eine begonnene Sendung zu Ende sehen darf. Er kann freitags und samstags länger sehen, aber nur, wenn die Sendung altersgemäß ist.» Nachdem sie diese neue Vereinbarung getroffen hätten, sei es nicht mehr zu diesen Provokationen – «von ein oder zwei Ausnahmen abgesehen» – gekommen.
«Und was haben Sie daraus gelernt?»
«Wenn Falk mal wieder seine provokative Tour hat, nichtblind an Konsequenzen festzuhalten, sondern zu schauen, ob er mir durch sein Handeln etwas sagen will.»
Diese Situation, die sich zweifellos auf manch andere alltägliche konfliktbeladene Erziehungssituation übertragen lässt, enthält wichtige Hinweise auf einen konstruktiven Umgang mit Konsequenzen. Wenn Heranwachsende sich nicht auf Konsequenzen einlassen, vielmehr augenscheinlich an der Aufrechterhaltung einer Störung interessiert sind, dann ist zu fragen:
Kann
der Heranwachsende die Grenze bzw. Konsequenz nicht einhalten? Oder
will
er sie nicht einhalten?
Bejaht man die erste Frage, so ist zunächst über die Angemessenheit der Konsequenz nachzudenken. Wenn Eltern vorschnell mit überzogenen Konsequenzen auf eine
Weitere Kostenlose Bücher