Pubertät – Loslassen und Haltgeben
für Horst verloren. Als die Beratung zu Ende ging und wir über den eingeschlagenen Weg nachdachten, meinte Horst: «Meine Eltern hätten es einfacher haben können. Warum haben sie mich nicht für voll genommen und mich wie ein kleines Kind behandelt?» Dann lächelt er mich an. «Aber wenn alle richtig handeln, verdienen Sie ja auch kein Geld!»
Diese Geschichte lässt sich mit ihrer spezifischen Problematik nicht verallgemeinern, aber sie verdeutlicht einen durchaus symptomatischen Aspekt: Wenn Heranwachsende Interesse daran haben, fortdauernd Grenzen zu überschreiten, dann geht es ihnen um Aufmerksamkeit. Unter solchen Bedingungen wirkt sich konsequentes Handeln kontraproduktiv aus. Dann gilt es, danach zu schauen, welche Bedeutung das auffallende Verhalten für den Pubertierenden hat. Oder anders formuliert: Es geht den Jugendlichen darum, angemessene Aufmerksamkeit zu erhalten. Und finden Jugendliche in ihrer Nahwelt keine gültige Antwort, dann fallen sie durch negatives Verhalten so lange auf, bis Geheimnisse gelüftet sind.
Wilhelm Horstmann war mit seinen pubertierenden Söhnen, Bernhard, 13, und Knut, 11 Jahre, auf einem Elternseminar. Herr Horstmann stellte sein Problem vor: Seine Söhne verhielten sich am Tisch wie Schweine: Schimpfworte, ungehemmtes Rülpsen und flegelhaftes Benehmen.
«Macht so ’n Spaß», meint Bernhard, «Papa sieht alles so eng.» Und Knut bemerkt mit Durchblick: «Der denkt, wir machen das bei anderen auch so. Stimmt aber nicht. Der traut uns nur das Schlimmste zu!» Auf meine Frage, wie lange sie das noch so treiben wollen, kommt Bernhards spontane Antwort: «Bis Papa auch mal rülpst!» Und Knut fällt ein: «Papa soll einmal Spaghetti mit den Händen essen!» Wilhelm Horstmann verdreht die Augen, sieht seine sauberen Finger an, schüttelt unmerklich den Kopf. Nach einigen Überlegungen treffen wir eine Vereinbarung: Die Familie absolviert vor dem Essen ein – wie die Söhne es nennen – «Schweineritual»: rülpsen, Schimpfworte sagen. «Dann sind wir sauber», meint Bernhard. «Hoffentlich hilft’s!», kommentiert der Vater und bedingt sich aus, nicht beim Ritual anwesend sein zu müssen. – Die Söhne versprachen, dann am Tisch die Störungen zu unterlassen. Einmal in der Woche findet ein «Ritteressen» statt – dort darf so gegessen werden, wie man es den mittelalterlichen Vorfahren zuschreibt. Einzige Bedingung: Die Söhne müssen Küche und Essecke selbst reinigen. «Aber ich spiele den vornehmen Grafen», insistiert der Vater. Acht Wochen später erklärt Wilhelm Horstmann, das Essen verlaufe in absolut geordneten Bahnen. Das «Schweine»-Ritual vor dem Essen habe nach nur 14 Tagen abgesetzt werden können, das Ritteressen jedoch erfreue sich nach wie vor großer Beliebtheit.
Während Wilhelm Horstmann seine positiven Erfahrungen darstellt, fällt ihm Uwe Weier unwirsch ins Wort: «Hören Sie bloß auf!» Dieses Mal hat er seine beiden Söhne mitgebracht, Christian, 13 Jahre, und Nico, 11 Jahre. «Ich hab es auch versucht mit diesen Vorschlägen von Herrn Rogge, denn bei unsging’s ja genauso zu wie bei der Familie Horstmann. Also führte ich Schweinerituale und Ritteressen ein. Aber alles wurde nur schlimmer: Meine Söhne rülpsen nicht nur weiter, nun furzen sie auch noch und pöbeln sich an. Das Ganze ist eskaliert. Jeden Tag gab es ein Ritteressen. Ich hab sie durch meine Vorschläge erst auf neue Ideen gebracht. Grauenhaft! Von wegen vornehmer Graf sein, wie Sie eben sagten, Herr Horstmann, ich kam mir vor, als ob ich ständig auf einem Plumpsklo sitze und im Kot wate.» Während Uwe Weier erzählt, grinsen sich seine Söhne an.
«Hat er recht?», frage ich die beiden. Sie lachen. «Voll!»
«Sie mit Ihrer Konsequenz», entrüstet sich der Vater. «So ein Scheiß!»
«Was muss passieren, damit ihr aufhört?», frage ich Nico und Christian.
«Er muss aufhören, uns beim Essen Vorträge über den Sinn des Lebens zu halten», antwortet Nico wie aus der Pistole geschossen, und sein Bruder ergänzt: «Und nicht immer darüber reden, wie schlecht die Jugend von heute ist und ob wir gar nicht wüssten, wie gut es uns geht!» Ihr Vater sinkt in sich zusammen. «Dabei meine ich es doch nur gut!» Seine Kinder stöhnen laut auf. «Jetzt kommt das Wort zum Sonntag. Wenn wir zu Hause wären, käme Vortragsvariante 21 a: Ich meine es nur gut mit euch!»
Nico und Christian hatten mithin kein Interesse daran, ihre Störungen zu unterlassen, weil
Weitere Kostenlose Bücher