Pubertät – Loslassen und Haltgeben
sie Mittel zum Zweck waren: Denn wenn sie ruhig wären, würde der Vater ihnen moralische Vorträge halten. Deshalb zeigten sie kein Interesse daran, neue Absprachen und Regeln zu erarbeiten. Sie benutzten die Vorschläge ihres Vaters vielmehr zur Erweiterung ihres Störpotenzials. Erst als ihr Vater während des Essens auf moralische Belehrungen verzichtete und stattdessen seinen Söhnen zuhörte, ließen die Störungen von Nico und Christian an der Familientafel recht schnell nach.
Überlegen Sie, ob es sich bei Ihnen um einen Sachkonflikt – wie bei der Familie Horstmann – oder um einen Beziehungskonflikt handelt. Beziehungskonflikte lassen sich nicht durch konsequentes Verhalten lösen, sondern nur, wenn man nach dem Sinn der Störungen fragt.
Konsequenzen-«Killer»
Konsequenzen-Killer Nummer eins: «Was sagen die anderen wohl über mich?»
– «Ich bemühe mich schon sehr darum», sagt die Mutter der 1 4-jährigen Jessika, «nicht unendlich zu reden und immer zu erklären. Aber es bereitet mir riesige Mühe, konsequent zu sein!» Sie beschreibt eine alltägliche Situation: Jessika hat die Angewohnheit, ihre Kleidung, Pullover, Blusen und Hosen, gleichgültig zu behandeln. «Sie geht völlig achtlos damit um. Die Kleidungsstücke liegen auf dem Boden herum», erzählt sie weiter, «verschmutzen, zerknittern. Und ich bin die Putz- und Waschfrau meiner Tochter. Ich habe dann die Arbeit.»
«Und wie geht die Geschichte weiter?», frage ich.
«Tja, neulich habe ich zu Jessika gesagt: ‹Jessika, Sachen, die du verschmutzen lässt, wasche und bügle ich ab übermorgen nicht mehr. Das kannst du dann selber machen. Hast du mich verstanden, Jessika?›»
Jessika habe genickt und war offensichtlich einverstanden. «Aber», so die Mutter, «Jessika hat auch so hintergründig gelächelt. Die dachte wohl, ich halte das nicht durch.»
«Wie lange haben Sie das durchgehalten?», frage ich die Mutter.
«Drei Wochen!» Sie schaut verblüfft drein. «Drei Wochen, länger nicht. Als Jessika 14 Tage lang in denselben Jeans, denselben vergammelten Pullovern oder in den abenteuerlichsten Kleidungskombinationen in die Schule rannte oder was weißich, wohin, da hab ich’s nicht mehr ausgehalten, und ich hab ihre Sachen wieder gewaschen und gebügelt.»
Jessika habe sich zwar «artig» für die Bemühungen bedankt, doch in ihrem Dank, so die Mutter, «lag auch Triumph, so als wolle sie sagen: ‹Siehste, Mama, ich hab doch die besseren Nerven!›»
Was sie bewogen habe, frage ich die Mutter, ihr konsequentes Verhalten aufzugeben. Sie weiß das ganz genau: «Was wohl die anderen über mich denken werden. Dass ich eine Rabenmutter bin, dass ich meiner Erziehungsaufgabe nicht nachkomme, was weiß ich …»
Aus meinen Gesprächen mit Eltern Pubertierender weiß ich, dass viele Eltern durchaus bereit sind, konsequent zu handeln, aber dass sie häufig einknicken. Und zwar nicht unbedingt, weil sie sich selbst schlecht fühlen, sondern weil sie sich im erzieherischen Handeln von der Meinung anderer abhängig machen – von den Großeltern, den Schwiegereltern, von den Nachbarn oder den Freunden. Meine Erfahrung ist: Tun Sie das nicht! Tun Sie das auf gar keinen Fall! Tun Sie das doch, dann sollten Sie etwa alle drei Monate umziehen. In diesem kurzen Zeitraum ist der Ruf in der Regel ruiniert. Meine dringende Empfehlung lautet: Bleiben Sie am Ort, und bleiben Sie konsequent. Denn wenn Ihre Kinder erst einmal erkannt haben, dass für Sie die Nachbarn, die Freunde, die Großeltern oder die Verwandten wichtiger sind, dann sind Sie ein Spielball in den Händen der Pubertierenden.
Wenn man sich im erzieherischen Handeln von anderen abhängig macht, hat das problematische Folgen. Auf ein paar will ich hinweisen:
Wenn Sie im Alltag nicht so handeln, wie Sie es fühlen oder intuitiv möchten, dann spürt der Heranwachsende: Nicht ich bin wichtig, sondern es sind andere, die für meine Eltern größere Bedeutung haben. Meine Eltern handeln jetzt nur so, weil sie von anderen Anerkennung haben wollen.
Wer sich in seinem pädagogischen Handeln von anderen abhängig macht, ist häufig darauf aus, möglichst perfekt und fehlerfrei zu wirken, oder will oberflächliches Lob von anderen erhaschen – nach dem Motto: «Seht mal, wie gut ich das mache!» Wer mit Pubertierenden zu tun hat, der hat Glück, wenn er einmal am Tag richtig handelt. In der Regel sind die Tage mit Pubertierenden mehr von den Mühen der Ebene als vom Glück
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