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Puck

Puck

Titel: Puck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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Himmel, dieses arme Würstchen, ein Leben lang treppauf, treppab und alles wegen dem bißchen Pension, die sie erst kriegten, wenn sie nichts mehr davon hatten... Ich gab ihm eine gewaltige Brasil und lud ihn zu einem Schnaps ein. Er händigte mir einen Brief aus:

    »Sehr verehrte Verwandtschaft! Ihr benehmt Euch auch wie Verwandtschaft, das heißt, Ihr kümmert Euch nicht um uns Unglückliche!
    Wann holt Ihr Euch Euer Honorar ab? Er heißt Arnold. Eure tiefunglücklichen Küsters.«

    Ich lief zum Frauchen: »Mein Gott, das haben wir ja ganz vergessen! Aber nun schnell! Wieso übrigens unglücklich?«
    »Ich kann’s mir schon denken«, sagte sie und setzte den Hut auf.
    »Warum ziehst du dich denn an?«
    »Na — wir fahren doch hin?«
    »Jetzt — gleich?«
    »Natürlich jetzt gleich, du hast keine Ausrede mehr, mein Lieber. Ich wollte es schon die ganze Zeit, aber ich traute mich nicht, dir was zu sagen, du warst ja so verrückt!«
    »Na, erlaube mal!«
    »Ach, du siehst immer alles viel zu schwarz.«
    Die beiden Küsters empfingen uns am Gartentor wie zwei Schatten. Louis’ Schlips hing schief, seine Haare standen wild um seinen Kopf. Außerdem trug er einen Monteurkittel. Es war der Overall, den er zur Reparatur an seinem Wagen benutzte. Er durfte nämlich mit seinem Auto spielen, weil er sich weniger schmutzig machte als ich, und manchmal besuchte ich ihn, um mit ihm zu spielen, wenn schon nicht an meinem eigenen Vehikel, dann an seinem alten Fiat, der aus irgendeinem Grunde >Mops< hieß.
    Lydia sah schlampig und lasterhaft aus, weil sie tiefe Schatten unter den Augen hatte. Frauchen umarmte sie und gab ihr einen Kuß: »Du Armes — wie siehst du bloß aus!« Ich schoß einen ironischen Blick zu Louis hinüber, oh — diese Frauen! Aber er sah nur stur an mir vorbei. Er roch nach Schnaps, schon am Morgen, und erregte damit meinen Neid. Während wir über den Kiesweg ins Haus gingen, betrachtete ich mit Interesse die Beete. Sie bestanden nur noch aus Stielen. Die Blumen waren alle wie mit Scheren abgeschnitten und lagen daneben oder auf dem Rasen. Als wir das Haus betraten, stockte unser Fuß. Es roch überwältigend nach Raubtierhaus. An dem Teppich in der Garderobe fehlten die Fransen. Im Arbeitszimmer fehlte der Teppich überhaupt. Dafür waren rundherum die Tapeten in Handhöhe abgefressen. Auf der Couch ein großes, ausgefranstes Loch. Aber wir vergaßen all das sofort, denn neben der Couch stand eine Kiste, und in der Kiste lagen unsere Enkelkinder, sechs Würste, sechs wonnige, weiße Würste mit dicken Popos, kleinen Bärtchen und knallblauen Augen. Sie lagen über- und durcheinander, und es ging ungeheuer lebendig zu. Man biß einander in Schwanz und Pfoten, man trat sich auf dem Bauch und im Gesicht herum, man riß gähnend zartrosa Mäulchen auf mit nadelspitzen Zähnen darin, man kläffte und maunzte, schnaufte und schob, und schließlich rang sich eines dieser Geschöpfe über die Wühlerei der Geschwister empor, hing einen Augenblick über dem Kistenrand, plumpste dann auf den Fußboden und wackelte uns mit taumeligen Schritten schief entgegen. »Das ist euer Arnold«, sagte Lydia. Sie saß mit krummem Rücken auf der durchlöcherten Couch, hatte die Hände müde zwischen den Knien hängen und sah aus wie von Käthe Kollwitz gezeichnet.
    Wir waren außer uns vor Entzücken und saßen sofort am Boden.
    »Nein, wie süß!« schrie Frauchen, »so was Goldiges habe ich überhaupt noch nicht gesehen!« Sie hielt Arnold ihren Finger hin, und er biß prompt hinein. Sie verzog etwas den Mund, dann legte sie das Gebilde auf den Rücken und besah sich für einen Augenblick die kleine Franse, die aus seinem rosa Bauch herausragte. Ob des bewiesenen Mißtrauens schuldbewußt, sah sie sich nach den Großeltern um, aber die blickten starr und gramverwüstet vor sich hin.
    »Wir haben seitdem kaum eine Nacht geschlafen«, sagte Lydia. Louis stopfte sich mit zitternden Händen eine Pfeife: »Und ich habe mehr Schulden als Haare auf dem Kopf, weil ich seit vier Wochen nichts mehr gezeichnet habe. In der ersten Woche fanden wir es noch ulkig, und ich zeichnete die ganze Bande, wir machten eine Menge Geld damit. Aber dann wurde es ernst.«
    »Und naß«, sagte Lydia.
    »Ja«, fuhr Louis dumpf fort, »alle Rätsel der Natur stießen uns auf. Das größte Rätsel ist, warum keiner von der Bande sein Geschäft im Garten macht. Im Garten beißen sie nur die Blumen ab, aber alles andere wird hier drinnen erledigt. Sie

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