Puck
Walchensee ersoffen, weil er einen ganzen Baum ans Ufer schleppen wollte, und kurz darauf ist er von einer drei Meter hohen Terrasse wieder in den See gesprungen, Sie werden’s nicht glauben.«
»O doch. Die Kombination von edlem Blut und blödsinniger Sturheit kommt auch bei uns Menschen vor. Gar nicht so selten sogar. Also — dann werde ich mal wieder wandern. Wegen Ihrer Hand brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, nur Quetschungen, kommt von allein wieder in Ordnung. Es gibt ein Mittel, das zu beschleunigen, aber das habe ich nicht mehr. Was sagt denn das Radio — wie lange wirds noch dauern?«
»Vier, fünf Tage, schätze ich. Sie sind eben sehr vorsichtig und rücken nur langsam vor.«
»Recht haben sie. Schade um jeden Mann, den sie jetzt noch verlieren. Wenn unsere Holzköpfe bloß Schluß machen würden! Es ist ja Wahnsinn!« Er horchte in die Ferne, wo es ab und zu dumpf bumste, zuckte die Achseln und ging.
Ich kauerte mich wieder an Puckchens Körbchen, wo auch die beiden Frauen saßen. Er lag ganz still auf der Seite, machte nur einmal kurz das Auge auf, als ich kam, stöhnte. Die Professorin flößte ihm aus einem Kännchen Wasser ein. »Er will nur trinken«, flüsterte sie, »Fieber hat er auch.«
Vorsichtig strich ich ihm über das Köpfchen. Eine heiße Zunge kam zwischen den Zähnen zum Vorschein und leckte meine Hand. »Wenn er wieder frißt«, sagte ich, »müßte er gut ernährt werden. — Wo sind eigentlich meine Kannen?« fragte ich die Gefährtin.
»Die sind dir beim Lampersberger aus der Hand gefallen. Er hat sie mit dem Jungen ‘raufgeschickt. Es war Milch drin.«
»Gut. Dann gehe ich jetzt ‘runter. Die Bomber werden bald kommen. Wißt ihr eigentlich, warum sie uns hier beehren?«
»Wegen der Eisenbahnbrücke«, sagte die Professorin.
Ich griff nach den Kannen: »Hoffentlich hält sie recht lange, damit’s schöne, lange Alarme gibt. Ich nehme auf alle Fälle auch noch den Rucksack mit.«
Das Ende
Unten im Ort traf ich eine völlig veränderte Atmosphäre. Es waren viel mehr Menschen da als sonst, vor allem viele Fremde: Soldaten — meist ohne Gewehr — gingen von Haus zu Haus, versuchten Hemden, Unterzeug, Zigaretten, Schnaps gegen irgend etwas zu tauschen; Gruppen von Ausländern, vornehmlich Jugoslawen und Ukrainer, hockten auf den Bürgersteigen, standen an den Straßenecken. Noch waren alle still oder flüsterten nur, betrachteten mißtrauisch die Einheimischen. Noch wirkte der Schatten der Diktatur.
Ich kam am Haus der Parteibonzen vorüber. Dort glaubte man offenbar nicht mehr an diesen Schrecken. Man lud den Mercedes voll Gepäck. Er war schon bis oben hin beladen. Gerade schleppte der Bonze mit seiner Frau noch einen großen Pappkarton heraus. Sie schwitzten in dem Bemühen, ihn noch in den Kofferraum zu pfropfen. Der aber erbrach sich, gewissermaßen, der Karton fiel aufs Pflaster, zerbarst, und eine ganze Fuhre Konserven rollte heraus. Die Frau, deren Hut halb ins Gesicht gerutscht war, begann zu jammern, aber der Mann stieß sie grob auf den Vordersitz: »Laß die Scheißkonserven! Müssen sehen, daß wir weiterkommen!«
In der Ferne bumste es. Von der anderen Straßenseite bewegte sich ein Haufen Fremdarbeiter langsam heran. Der Bonze sprang hinter das Steuer und fuhr an, daß die Kiesel flogen. Weg war er! Ich schaltete schnell, stellte die Kannen hin, riß den Rucksack herunter und begann, die Konserven einzusammeln. Vier Stück hatte ich gerade im Rucksack, da waren die Fremdarbeiter heran, und im Nu war der Vorrat verschwunden. Mit der verletzten Hand fiel es mir schwer, den Rucksack auf die Schulter zu heben. Einer der Fremden half mir dabei und erzählte mir etwas in seiner Sprache. Er sah glücklich und aufgeregt aus. Ich dankte ihm und blieb noch vor dem verlassenen Haus stehen. Auf der Terrasse sah ich ein Mädchen. Das war doch die Angestellte mit der Schürze! Sie blickte böse und ratlos um sich. Ich stieg auf die Terrasse und sprach sie an: »Getürmt?«
»Ja!« sagte sie grimmig. »Drecksbande! Werden ja doch geschnappt.« Sie zog einen Hundertmarkschein aus der Tasche: »Gehaltsrest! Was soll ich denn damit machen? Dabei hatte dieses Schwein Tausende bei sich, viele Tausende, sag’ ich Ihnen, ‘ne ganze Kiste voll!«
»Haben sie sonst nichts zurückgelassen?«
»‘n paar Lumpen von der Ollen — und die Töle.«
»Sie sind aus Berlin?«
»Klar! Sie doch ooch?«
»Na klar.«
Wir grinsten uns an. »Wie steht’s denn mit den
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