Pulphead
Künstler- oder Bühnenname, der klarstellte, dass Gullah-Blut in ihren Adern floss bzw. dass ihre
Haut und ihre Haare rot getönt waren). Sie ist die vielleicht einzige Zeitgenossin von James, die ihm als seine spirituelle Braut in Sachen unheimlicher Schönheit je das Wasser reichen konnte. Alles, was wir über Wiley wissen, ist das, was wir nicht wissen: Wo oder wann sie geboren wurde; wie sie aussah, wo sie lebte, wo sie beerdigt wurde. Musik machte sie zusammen mit einer gewissen Elvie Thomas, über die sogar noch weniger bekannt ist. (Über Elvie gibt es nicht mal Gerüchte.) Im Lauf der Jahre gaben Musiker, die behaupteten, Geeshie Wiley in Jackson, Mississippi, gesehen zu haben, Forschern gegenüber dürftige Details preis: dass sie eventuell aus Natchez, Mississippi, stammte (und vielleicht Halbindianerin war) und dass sie bei einer Medizinshow aufgetreten sei. Das Schicksal erlaubte sich einen kleinen, sadistischen Scherz, als es den Blues-Forscher und Rekordplattensammler Gayle Dean Wadlow (der, der Robert Johnsons Totenschein gefunden hat) in den späten sechziger Jahren ein Interview mit einem Weißen namens H. C. Speir führen ließ, einem ehemaligen Plattenladenbesitzer aus Jackson, der in der Vorkriegszeit nebenher als Talentscout für Plattenlabels gearbeitet und sich dabei auch auf dem Feld sogenannter »race records« versucht hatte (Musik, die speziell für Schwarze auf den Markt gebracht wurde). Dieser Speir hatte Wiley mit ziemlicher Sicherheit um 1930 herum getroffen und seinen Kontaktpersonen bei Paramount in Grafton, Wisconsin, von ihr erzählt – vielleicht hat er zusammen mit ihr und Elvie sogar die Zugreise gen Norden angetreten, was er bekanntermaßen mit anderen seiner »Funde« getan hat. Obwohl mindestens zwei der sechs erhaltenen Songs von Wiley und Thomas schon von Sammlern wiederentdeckt worden waren, als Wardlow Speir 1969 in dessen Haus besuchte, waren diese Lieder damals außerhalb einer kleinen Gruppe von zwei, drei Aficionados an der Ostküste niemandem zugänglich. Anders gesagt: Wardlow saß eine halbe Meile entfernt von dort, wo sie aufgetreten war, und unter
hielt sich mit einem Mann, der ihr Gesicht betrachtet und ihr beim Stimmen ihrer Gitarre zugesehen hatte, und wusste nicht, dass er nach ihr fragen sollte. Er war ihr in diesem Augenblick näher, als es jemals wieder irgendwem gelingen würde.
Nicht viele derart unbekannte Menschen haben ein so gewichtiges, betörendes Vermächtnis hinterlassen wie Geeshie Wiley. Drei der sechs Songs, die Wiley zusammen mit Elvie Thomas aufgenommen hat, gehören zu den größten Country-Blues-Aufnahmen, die jemals in Schellack gepresst wurden. Einer davon, der »Last Kind Words Blues«, ist ohne jede Einschränkung ein zentrales Werk der amerikanischen Kunst, ein Blues, der kein Blues, sondern etwas anderes ist, gleichzeitig aber auch der perfekte Blues, ein Gipfelpunkt.
Man hat die These aufgestellt, das Lied sei ein einsamer Überlebender eines älteren, zum Zeitpunkt des Entstehens bereits im Verschwinden begriffenen Minstrel-Stils; andere halten ihn für eine einmalige Spur, einen ephemeren Hybrid, der mit Wiley und Thomas ins Leben gekommen und gestorben ist, der Versuch, eine Melodie nachzuspielen, die die beiden irgendwo am Lagerfeuer gehört hatten. Der Aufbau folgt nicht dem üblichen AAB -Wiederholungsschema des Blues, und zur wehklagenden Melodie gibt es bis heute auf keiner existierenden Aufnahme etwas Vergleichbares. Genauso verhält es sich mit der Harmoniefolge des Songs: Der »Last Kind Words Blues« beginnt groß, scheppernd, bedrohlich in E-Dur, zieht sich dann aber schnell auf a-Moll zurück, wo er eine Weile verharrt (der frühe Blues wurde so gut wie nie in einer Moll-Tonart gespielt). Das sich ineinander windende Zusammenspiel der beiden Gitarren mit den kleinen Slide-Passagen, die höchstwahrscheinlich von Elvie kommen und ständig zwischen Hauptstimme und Kontrapunkt wechseln, ist nicht weniger außergewöhnlich. Manchmal hört sich das nach vier Händen an, die einem einzigen Kopf gehorchen, und beschwört Bilder von endlosem Üben und der unermesslichen
Langeweile der Medizinshow-Welt herauf. Der Text fängt so an:
»The last kind words I heard my daddy say,
Lord, the last kind words I heard my daddy say,
›If I die, if I die, in the German War,
I want you to send my money,
Send it to my mother-in-law.
If I get killed, if I get killed,
Please don't bury my soul.
I cry, just leave me out, let
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