Pulphead
die er wollte, von ihrem Ständer genommen und sie für Drogen vertickt.« Wir standen vor den Überbleibseln der lebenslangen Grabungen des Mannes.
Während wir uns unterhielten, war mir ein Ding aufgefallen, das auf dem Fernseher stand; es war in einen großen Bogen grünes Seidenpapier gewickelt. Der Sohn schielte immer wieder hinüber, er bettelte förmlich um meine Frage. Irgendwann fragte ich. Er holte das Teil – ein weiblicher Schädel, dessen Alter er auf zwölftausend Jahre schätzte (Des Jean glaubte eher an acht- bis neuntausend). Er präsentierte ihn mir. Er zeigte mir die Stellen, an denen ihre Zähne komplett abgewetzt waren, »weil sie immer auf Leder rumgekaut hat«.
Er erzählte von Leuten im Ort, die einen schwunghaften Handel mit Artefakten betrieben. »Für keinen Preis der Welt würde ich meine Sammlung verkaufen«, fügte er hinzu. »Ich hab die Sachen nicht ausgegraben, um Geld zu machen.«
Er erzählte von dem »Typ von der Werkstatt, der alles Mögliche macht, und den man in Reliquien bezahlen kann. Du brauchst neue Bremsbacken und hast kein Geld? Ein paar Pfeilspitzen, ein paar Reliquien reichen, und er macht dir deine Bremsbacken.«
Ich fragte, ob er immer noch schürfe. Manchmal, sagte er. Nicht so schnell und effektiv wie früher. Er ginge gerne um zehn oder elf Uhr abends raus zum »Sammeln«. Warum? »Weil
ich arbeite. Weil ich keine Sozialhilfe kassiere. Ich sollte Sozialhilfe beantragen. Dann könnte ich ständig schürfen.« Er erzählte, dass Leute sich sein Land unter den Nagel gerissen hatten. Dass er abends den Graben aufräume und den ganzen Dreck in den Wald kippe. Dass er oft am nächsten Tag wiederkomme, und der Graben sei wieder voll. Jemand war nach ihm da und hat geschürft.
Von der ganzen Familie habe nur sein Vater, der ein Viertelcherokee war, nichts mit der Schürferei zu tun haben wollen. »Was soll ich in irgendeiner Höhle herumschaben?«, hatte der alte Mann gefragt.
Als wir uns verabschiedeten, zeigte er uns einen Brief von Ronald Reagan, in dem stand, wie sehr sich Reagan für seine Sammelleidenschaft interessiere.
Wir betraten die twilight zone ; die sonnenbeschienene Welt war jetzt nur noch ein gähnendes Loch hinter uns. Jan schaltete den Zauberstab ein. In dieser Höhle war er anders als sonst; er redete wenig. Als ich ihn später danach fragte, sagte er, dass er in dieser Höhle mehr Fehler gemacht habe als an jedem anderen Ort, an dem er jemals gearbeitet habe. Die ersten anderthalb Stunden sei er völlig durchgedreht. Meine Augen gewöhnten sich an das Licht der Stablampe. Ich war mittlerweile in vier oder fünf Höhlen ohne Namen gewesen und begriff allmählich, dass man Höhlenwände anders betrachten musste, geduldiger. Ich würde nie richtig gut darin werden, aber ich konnte sehen, was andere entdeckt hatten.
Man sah schnell, was Simek an dieser Höhle so beeindruckt hatte. Man könnte sich durch jede beliebige Anzahl von Bildbänden über die prähistorische Kunst der amerikanischen Ureinwohner blättern und würde rein gar nichts finden, was diesen Bildern ähnelte. Wir sahen Vögel, gut, aber das hier schien eine Art Kastenvogel zu sein – sein quadratischer Körper war gefiedert. Und es gab mehr davon.
Eine Glyphe der Sonne, in genau dem Augenblick, als das Sonnenlicht verschwand.
Die Kreaturen veränderten sich, je tiefer wir vordrangen. Das hier waren keine Vögel mehr, aber sie waren mit den Vögeln verwandt; sie schienen aus ihnen hervorzugehen; es waren andere Kastenwesen.
Wir sahen Kastenmenschen neben natürlicher aussehenden Menschen. Und wieder traten die Glyphen miteinander in einen Dialog, sie reimten sich, eine ein Echo der anderen.
Die Stollen wurden niedriger, enger. Unsere Gesichter waren nur noch Zentimeter von den Höhlenwänden entfernt. Wir trafen auf seltsame Kreaturen mit Schwimmhäuten und langen, schwankenden Armen.
Ich fing an, mich wie im Inneren einer Halluzination zu fühlen, nicht meiner eigenen – ich gab mir alle Mühe, Jans kryptische Bemerkungen in der Enge der Höhle mitzuschreiben –, sondern im Traum eines anderen, der eigens für mich gedacht war, beziehungsweise nicht für mich, sondern für andere, völlig andere Leute. Vielleicht war es Schamanismus. In der Höhle gebe es eine Quelle, sagte Simek, die manchmal, wenn man lang genug hier drin sei, anfinge, wie Stimmen zu klingen.
»Es ist wie ein Wandgemälde aufgebaut«, sagte er. Er hielt es für einen Ursprungsmythos, vielleicht
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