Pulphead
untersucht. Es gab kein solches Material.
Die Waffe, die der Mann auf dem Bild hält, könnte ein Speer sein. Wenn man allerdings einen Speer wirft, hält man den anderen Arm in die Luft. Der Mann hält seinen Schwungarm jedoch dicht am Körper. Das macht man, wenn man mit einem Atlatl wirft, einer Speerschleuder, dem Vorgänger von Pfeil und Bogen.
Es gibt meines Wissens nirgendwo auf dieser Welt, egal ob Alte oder Neue, Bilder von Menschen, die Atlatls benutzen. Dieses Bild ist das einzige. Eine Waffe, die unsere Spezies dreißigtausend Jahre ernährt und die viel mit unserer Stellung auf diesem Planeten zu tun hat. Der Jäger, der sie führt, lässt das Geschoss gerade los.
Möglicherweise kam vor zweitausend Jahren ein Woodland-Entdecker an diesem kleinen Bild vorbei, ein Zeitgenosse der Künstler, die die komplizierten Tafelbilder der Vögel gemalt hatten – ein Bild, das weiter entfernt von seiner Zeit war, als er von unserer – und fragte sich, wer es geschaffen hatte oder was es bedeutete.
Geister des Blues
Ende 1998 oder Anfang 1999 – auf jeden Fall während des Winters, der beide Jahre überspannte – habe ich, mit Unterbrechungen, fast eine ganze Nacht mit einem Menschen namens John Fahey am Telefon verbracht. Ich war Jungredakteur beim Oxford American , einem Magazin, das seine Büros zu dieser Zeit in Oxford, Mississippi, hatte; Fahey, damals fast sechzig und wohnhaft in Zimmer 5 einer Fürsorgeunterkunft am Rand von Portland, Oregon, war er selbst. Was auch immer das war: eine Art Geisterbeschwörer, so viel ist sicher; ein »Pionier« (wie er einmal seinen großen Helden Charley Patton nannte) »der Externalisierung merkwürdiger, befremdlicher, sogar gespenstischer emotionaler Zustände in Musik«. Als Komponist baute er aus Bruchstücken von Gitarren-Instrumentals älterer Songs Collagen zusammen. Am gelungensten waren diese Collagen, wenn in ihnen wie in Resonanzräumen verschiedenste längst tote Stilrichtungen miteinander kommunizierten. Mein Vater hatte mir davon erzählt, wie er Fahey 1969 in Memphis gesehen hatte. Beim legendären Blues-Festival dieses Sommers hatte Fahey seine »Blind Joe Death«- Nummer abgezogen, wobei er, als er am Arm geführt und mit dunkler Brille auf die Bühne humpelte, den Körper eines in die Jahre gekommenen Farmpächters zu bewohnen schien. Diesen postmodernen Scherz auf Kosten der ausschließlich weißen, authentizitätsbesessenen Country-Blues-Auskenner konnte er sich zu jener Zeit eindeutig erlauben. Fünf Jahre zuvor hatte er zu den Anführern einer kleinen Truppe von Enthusiasten gehört, eines Sondereinsatzkommandos des Folk-Revivals, die
auf der Suche nach noch lebenden Honoratioren der Country-Blues- oder sogenannten »Folk Blues«-Phase der Vorkriegszeit (über den Daumen gepeilt von 1925 bis 1939) Roadtrips durch die Südstaatenprovinz veranstaltete.
Fahey war jemand, dessen Schicksal wie das eines schwarzen Schafes einer tiefsitzenden inneren Schwachstelle folgte. Er hatte eine schöne Kindheit in Washington, D . C ., war aber von klein auf fixiert auf die traditionelle Gitarrenspielweise des Fingerpicking. Nach dem College ging er an die Westküste, um in Berkeley Philosophie zu studieren, wechselte allerdings in einem entscheidenden Augenblick an die UCLA , ans dortige Institut für Volkskunde. Mit dem Abschluss in der Tasche konnte er genau das machen, was er wollte: alte Bluesmusiker aufstöbern. Er war persönlich daran beteiligt, sowohl Booker T. Washington »Bukka« White als auch – das war ein krönender Moment – Nehemiah Curtis »Skip« James zu finden und zurück vor die Augen der Öffentlichkeit zu zerren. James, der dunkle Prinz des Country-Blues, war ein dünner Schwarzer mit hellen Augen und einer außerirdischen Falsettstimme, der 1931 einen Schwung derart trauriger, erschütternder Lieder aufgenommen hat, dass die Leute ihn angeblich dafür bezahlt haben, an ihrer Straßenecke nicht zu singen. Fahey und zwei seiner Mitstreiter entdeckten ihn 1964 in einem Armenkrankenhaus in Tunica, Mississippi, wo er den grausam schleichenden Magenkrebs-Tod starb. Sie sagten zu ihm: Wir wissen, Sie sind ein Genie. Jetzt sind die Leute bereit. Spielen Sie für uns.
»Ich weiß nicht«, soll er geantwortet haben. »Skippy ist müde.«
Ich wiederum sollte Fahey wegen eines Faktenchecks auftreiben. Das Magazin wollte eine Geschichte über Geeshie Wiley bringen (manchmal auch Geechie oder Gitchie; so oder so wahrscheinlich nur ein
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