Pulphead
alte innerfamiliäre, die er zudem seit langem dominiert. Die Familie ist ein Dame-Spiel, er will Schach. Verblassende Kinderstars haben es leicht, sich weiteren Motivationsversuchen zu verweigern, wenn sie sich das wünschen, und das tun die meisten. Es ist der menschlichere Weg. Michael aber sucht den Druck, zumindest in diesem Moment. Er umgibt sich mit Leuten, die ihn zu »höheren Anstrengungen« bringen, wie er es formuliert.
Quincy Jones gibt ihm den Spitznamen Smelly, wegen seiner Gewohnheit, mit den Fingern der linken Hand ständig die
eigene Nase zu berühren oder zu verdecken, ein Tick, der auch in Nachrichtenclips aus dieser Zeit nicht zu übersehen ist. Er schämt sich wegen seiner breiten Nase. Diverse Operationen später – nachdem man es, so steht zu vermuten, im Jackson-Lager als undiplomatisch gebrandmarkt hatte, über Michaels frühere, sein Gesicht betreffende Unsicherheit zu sprechen – klingt die Geschichte anders. Man erzählt uns, dass Michael immer, wenn ihm im Studio ein Track gefiel, von einem »Smelly jelly« sprach. Vielleicht stimmen beide Geschichten. »Smelly jelly« klingt nach einer von Jacksons merkwürdigen, infantilen Redewendungen. Zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben würde er, wenn er sich schwach fühlte, zu seinen Leuten sagen: »Ich habe Schmerzen . . . deckt mich zu!« Was unter anderem bedeuten konnte: Zeit für meine Medizin.
Michael weiß, dass er seine Solokarriere nicht wirklich anschieben muss, bevor sein eigenes Songwriting nicht ein anderes Niveau bekommt. Er will nicht einfach nur dazugehören. Er will Ehrfurcht. Jones hat einen zuverlässigen Songwriter in seinem Stall, den Engländer Rod Temperton, der mit Heatwave bekannt wurde und jetzt den Song »Rock with You« anbietet. Der Song ist sehr gut. Michael hört ihn und weiß, dass das ein Hit ist. Hits sind ihm zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht so wichtig, er sieht sie als eine Art Nebenprodukt auf dem Weg zur Perfektion. Er fährt nach Hause und schreibt »Don't Stop 'Til You Get Enough«. Janet klingelt mit einer Glasflasche. Der treue Randy spielt Gitarre. Mit diesen beiden Geschwistern zieht Michael ins Quincy-Jones-Abenteuer, sie nimmt er mit in die innerste Zone, wo er komponiert. Wir unterstellen immer, dass seine Familie musikalisch nichts zu seiner Solokarriere beigetragen hat, es sei denn, aus Schuldgefühlen heraus. Aber bei diesen beiden fühlt er sich aufgehoben, es ist ihm wichtig, sie weiterhin in sein Nest eingewoben zu wissen. Beide sind jünger als er. Seine kleine Schwester.
Aus dem Abstand von dreißig Jahren betrachtet ist »Don't
Stop 'Til You Get Enough« ein sehr viel besseres Stück als »Rock with You«. Sosehr man »Rock with You« auch bewundert: Michaels Song ist melodisch deutlich unverwechselbarer. Was man hier hört, ist nicht handwerkliches Geschick, sondern ausgeprägt entwickelter Instinkt.
Off the Wall hinterlässt bei Michael ein Gefühl der Enttäuschung. Das Album wird mit einem Grammy ausgezeichnet, generiert mehrere Nummer-Eins-Singles, steigert Jacksons sowieso schon erhebliche Berühmtheit, rettet Disco genau im richtigen Moment: im Augenblick des Disco-Todes. Diana Ross, die die Jacksons einst unterstützt hatte, indem sie ihren hübschen Arm um sie legte, möchte Michael wieder bei ihren Konzerten dabei haben, und zwar nicht ihm zuliebe, sondern sich selbst zuliebe. Nicht, dass sie verzweifelt ist, aber es hat sich etwas verschoben. Quincy Jones und Bruce Swedien, der Aufnahme-Guru, mit dem Jones zusammenarbeitet, halten allein die Idee, in Sachen Erfolg einen »Nachfolger« von Off the Wall zu produzieren, für absurd. Man gibt sein Bestes, aber so etwas passiert trotzdem nur, wenn es eben passiert. Jones weiß das. Michael nicht. Er nimmt an Off the Wall nur wahr, dass im selben Jahr noch größere Alben erschienen sind. Er will etwas schaffen, das sich, wie er sagt, »weigert, ignoriert zu werden«.
Zu Hause nimmt er mit Randy und Janet eine Demoversion von »Billy Jean« auf. In dem Part, der den Song einmal unsterblich machen wird, singen Janet und Michael noch »Whoo whoo / Whoo whoo«.
Von Michaels Gehirn geht es also über eine kleine Bandmaschine ins Heimstudio. Bruce Swedien kommt vorbei. Wenn man Michael Jackson ist, der am Nachfolger zu Off the Wall arbeitet, heißt das auch, dass manchmal der beste Toningenieur der Welt zu dir nach Hause kommt und deine Demos aufnimmt. Das Team arbeitet trotzdem sehr minimal, ohne jede
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