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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Weise gutaussehenden Schwarzen mittleren Alters. Wir sollen natürlich Verbundenheit empfinden mit diesem armen Nie-Gewesenen und die skurrile Kreatur bemitleiden, die sich selbst verstümmelt hat. Ich kann aber nicht der Einzige sein, der diese Simulation im Gegenteil als irgendwie metaphysisch abstoßend wahrnimmt. Als Abscheulichkeit. Michael hat sein wahres Gesicht gewählt. Das, was ist, ist natürlich.
    Wenn man so will – und auch, wenn man nicht so will –, ist sein physischer Körper das größte Werk postmoderner amerikanischer Bildhauerkunst. Man muss ihn sorgfältig konservieren.
    Es ist überaus spannend, die Interviews zu lesen, die er im Laufe der letzten dreißig Jahre Ebony und Jet gab. Ich gebe zu, dass sie mich als Weißen verwirren. Während die großen Medien endlose Berichte über seine bizarren Gewohnheiten und seine Zurückgezogenheit brachten, gewährte er diesen beiden Magazinen über Jahre hinweg immer wieder intime, offenherzige Einblicke, wobei er nie vergaß, seine Gesprächspartner daran zu erinnern, dass er nur ihnen vertraute und nur mit ihnen sprechen würde. Die Artikel führen mir vor Augen,
dass die einzige Persönlichkeit namens Michael Jackson, die ich je kannte, ein Mensch war, der sich vor Weißen gegen den Vorwurf passiv-aggressiven Kindesmissbrauchs verteidigt. Mit Schwarzen redete er anders, fühlte sich wohler. Die Sprache und die Beschaffenheit der Details unterscheiden sich – ohne dass die Konstellation journalistisch objektiver gewesen wäre.
    Die Verlegerfamilie John H. Johnson, die Jet und Ebony herausgibt, stärkte Michael immer den Rücken, kittete und pflegte seine komplizierten Beziehungen mit der Black Community und versicherte den Lesern, dass man in Michaels Gegenwart »schnell hinter das Leuchten der rätselhaften Ikone, unter ihre fast durchscheinende Haut sehen und feststellen kann, dass diese afroamerikanische Legende mehr ist, als der oberflächliche Blick verrät«. Manchmal, vor allem, als die »Homo«-Sache losging, kippte die Unbedingtheit der positiven Berichterstattung auch ins Komische, wie in einer 1982er Ausgabe von Ebony , in der Michael über obsessive männliche Fans spricht:
     
    MICHAEL : Sie versuchen auf jede Art, an uns ranzukommen, da sind die Jungs genauso schlimm wie die Mädchen. Wenn Jungs auf die Bühne springen, stürzen sie sich meistens auf mich und Randy.
    EBONY : Aber das bedeutet doch nur, dass sie dich bewundern, oder?
     
    Und trotzdem ist es ein neuer Michael, den man hier entspannt und unprätentiös über das reden hört, was er am meisten liebte: Kunst. Ein Mensch, der nicht das Geringste zu tun hat mit beispielsweise dem Michael aus Living with Michael Jackson, Martin Bashirs berüchtigtem Dokumentarfilm, in dem Michael zugibt, sein Schlafzimmer mit Kindern zu teilen. Man muss Jet und Ebony lesen, um zu verstehen, wie ansonsten geradlinig wirkende Menschen jedweder Hautfarbe über all die Jahre
gute Freunde von Michael Jackson bleiben konnten. Er ist sympathisch; er hat einen regen Geist. Was für eine Freude, dabei zu sein, wie er sich frühe Demos seiner eigenen Kompositionen anhört und sagt: »Und hier, das ist zu Hause, mit Janet und Randy . . . Hier hört man vier Bässe . . .« Oder wie er nicht ganz so vorgefertigte Anekdoten erzählt, wie die von dem schönen schwarzen Mädchen, das, als es ihn im Flugzeug entdeckte, wie vom Donner gerührt im Gang stehen blieb und sich so einnässte, dass es ihr die Beine runterlief. Oder die von dem blonden Mädchen, das ihn am Flughafen küsste und, als er nicht zurückküsste, sagte: »Was ist dein Problem, du Schwuchtel?« Er wird müde, immer wieder daran erinnern zu müssen, dass »es einen Grund gibt, warum ich als Mann geschaffen wurde. Ich bin kein Mädchen.« Den Grund lässt er ungenannt.
    Als sich Michael und Quincy Jones am Filmset von The Wiz – Das zauberhafte Land über den Weg laufen, fällt Michael eine Jahre zurückliegende Begebenheit ein. Damals hatte Sammy Davis Jr. im Backstage Jones zur Seite genommen und ihm zugeflüstert: »Der Junge hat was; er ist umwerfend.« Michael hat diese Begebenheit »aufbewahrt«. Jones' Namen kennt er von den Hüllen der Jazzalben seines Vaters, er weiß, dass Jones eine Autorität ist. Er wartet bis zur Fertigstellung des Films, dann ruft er ihn an. Jones schüchtert ihn etwas ein, und genau deshalb fühlt er sich zu ihm hingezogen. Er sehnt sich nach einer Art Konkurrenz, die großformatiger ist als die

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