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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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aus.
    Quincy ermahnt ihn ständig: »Smelly, geh mal einen Schritt zur Seite und mach Platz, damit Gott hereinkommen kann.«
    Ein Gott bewegt sich durch ihn hindurch. Der Gott tritt ein, der Gott tritt aus.
     
    Es ist seltsam, über einen Menschen zu schreiben, von dem man weiß, dass er eventuell ein mehrfacher Kinderschänder war, ohne das aber sicher zu wissen. Ob Michael es getan hat oder nicht: Die Mutmaßungen haben sein Leben eine sehr lange Zeit überschattet und letzten Endes seine Seele getötet. Es heißt, dass er sich mit denselben Narkotika, die ihm wahrscheinlich den Garaus gemacht haben, betäuben ließ. Nicht stunden-, sondern tagelang. Als wollte er sich auslöschen lassen. Zeugen, die seinen Körper auf dem Seziertisch gesehen haben, berichten, dass seine künstliche Nase fehlte. Dass sein Gesicht nur aus Löchern bestand. Eine Mumie. Zwei unabhängig voneinander durchgeführte, vollständige Autopsien: Sie haben ihn zerstückelt. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes weiß außerhalb des Jackson-Lagers niemand mit Sicherheit, wo sich sein Körper befindet.
    Im vergangenen Monat habe ich einen Stapel Bücher über ihn gelesen, mehr, als ich mir je hätte vorstellen können – aber nicht mehr, als ich wollte. Er verdient eine seriöse, objektive Biografie, die er zweifelsohne eines Tages auch bekommen wird, schließlich fanden in ihm sämtliche großen Stränge amerikanischer Musik zusammen. Dass ihn gerade sein rassisches Dazwischen-Sein zu einer zentralen Figur unserer Kulturgeschichte gemacht hat, müssen wir noch zu akzeptieren lernen. Er hat es bereits begriffen und benutzt. Seine Ehe mit der Tochter von Elvis war in Teilen ein Kunstwerk.
    Von allen Büchern beunruhigt und beschäftigt mich das des Promi-Journalisten Ian Halperin am meisten: Unmasked: The Final Years of Michael Jackson . Halperin, der für ein Buch und einen Film berühmt wurde, in denen er die zweifelhafte These vertritt, Kurt Cobains Selbstmord sei ein verschleierter Mord gewesen, ist sicher keine ideale, aber eben auch keine nutzlose Quelle. Treffsicher prognostizierte er Michaels Tod sechs Monate im Voraus und scheint sich an vielen Stellen in die Jackson-Welt gewühlt zu haben. Halperin behauptet, dass er mit
seinem Buch anfänglich vor allem den Beweis dafür erbringen wollte, dass Michael kleine Jungen sexuell belästigte und sein Geld dazu verwendete, um damit durchzukommen. Diese ursprüngliche Motivation nehme ich ihm sofort ab, denn ein solcher Beweis hätte die meiste Sensationspresse gehabt, den größten Absatz gezeitigt usw. Nachdem er diversen Spuren erschöpfend nachgeht, stellt Halperin schließlich fest, dass ihm jeder Ansatz einer Beweiskette wie Sand durch die Finger rieselt. Entweder verlangt ein vermeintlicher Zeuge – und sei es ein Familienmitglied – Geld oder hat vorher schon Leute angezeigt oder ist offenkundig verrückt. Und fast immer bleibt am Ende nichts außer dem Gerücht, dass jemand anderes etwas über eine angebliche geheime Schmiergeldzahlung gehört haben soll. Und dann gibt es noch Jungen wie Macaulay Culkin (den liebkost zu haben Michael auch vorgeworfen wurde), die an die Öffentlichkeit getreten und angegeben haben, dass nie etwas Unbotmäßiges mit Michael passiert sei. Dass der Freispruch vor Gericht das richtige Urteil gewesen sei.
    Das ist die erste Hälfte der Halperin-These. Die zweite Hälfte beschäftigt sich damit, dass Michael ein in vollem Umfang aktiver schwuler Mann gewesen sein soll, der sich sein gesamtes Erwachsenenleben hindurch heimliche Liebhaber genommen hat. Halperin behauptet, zwei seiner Liebhaber getroffen und Bilder gesehen zu haben, die zumindest einen der beiden zusammen mit Michael zeigten. Sie waren jung, aber definitiv volljährig. Der eine erzählte Halperin, Michael sei ein unersättlicher Bottom gewesen.
    Was Michaels Interesse an Kindern anbelangt: Man kann sich schwerlich vorstellen, dass es keinerlei erotische Dimension hatte. Aber möglicherweise war es tatsächlich asexuell. Michaels Entwicklung hat im Stadium der Adoleszenz haltgemacht – ungefähr zur Zeit der frühen, verträumten kalifornischen Jahre im gestreiften Sweatshirt –, und er wollte Zeit mit Menschen verbringen, die er als gleichaltrig empfand. Kissen
schlachten veranstalten, sich gegenseitig Dödel nennen. Das ist vielleicht gruselig, fordert aber auch keine Opfer. Es würde ihn – medizinisch-kategorial formuliert – zu einem partiell passiven, fixierten

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