Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
die Baggy-Jeans. Lumpenmann war wirklich kein schlechter Name für den Kerl in der Harvard-Jacke, fand er.
    »Ich nenne ihn Zoff, so nenne ich ihn«, sagte Jordan mit schwacher Stimme. Er beobachtete noch einmal die Neuankömmlinge -mindestens dreihundert, vielleicht vierhundert, die vor kurzem aus weiß Gott welchen umliegenden Kleinstädten zusammengeströmt waren -, dann sah er wieder zu Clay auf. »Habt ihr den schon irgendwo gesehen?«
    »Außer im Albtraum? Nein.«
    Tom schüttelte den Kopf.
    »Für mich ist er nur eine Zeichnung auf einem Stück Papier«, sagte Alice. »Ich habe nicht von ihm geträumt, und ich sehe da draußen auch niemanden mit einer Kapuzenjacke. Was haben sie auf dem Fußballplatz gemacht? Glaubt ihr, dass sie versucht haben, ihre Toten zu identifizieren?« Sie machte ein zweifelndes Gesicht. »Und ist es da drinnen nicht noch ziemlich heiß? Ich glaube schon.«
    »Worauf warten sie?«, sagte Tom. »Wenn sie uns nicht angreifen oder dazu bringen wollen, mit Küchenmessern übereinander herzufallen, worauf warten sie dann?«
    Clay wusste plötzlich, worauf sie warteten und wo Jordans Lumpenmann war - er hatte ein Aha-Erlebnis, wie Mr. Devane, sein Mathelehrer an der Highschool, solche Augenblicke genannt hatte. Er machte kehrt und ging in Richtung Diele davon.
    »Wohin willst du?«, fragte Tom.
    »Nachsehen, was sie uns dagelassen haben«, sagte Clay.
    Sie hasteten hinter ihm her. Tom holte Clay ein, als dessen Hand noch auf der Türklinke lag. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte er.
    »Vielleicht nicht, aber das ist es, worauf sie warten«, sagte Clay. »Und weißt du was? Wenn sie uns umbringen wollten, wären wir bestimmt schon längst tot.«
    »Wahrscheinlich hat er Recht«, sagte Jordan mit dünner, schwacher Stimme.
    Clay öffnete die Tür. Mit ihren bequemen Korbmöbeln und dem Blick über den Akademiehügel zur Academy Avenue hinunter war die lang gestreckte Veranda der Cheatham Lodge für sonnige Herbstnachmittage wie den gegenwärtigen geschaffen, aber Atmosphäre war etwas, woran Clay im Augenblick am wenigsten dachte. An der Treppe vor dem Haus stand eine Keilformation aus Handy-Verrückten: einer vorn, zwei hinter ihm, drei hinter ihnen, dann vier, fünf und sechs. Insgesamt einundzwanzig Gestalten. An ihrer Spitze stand der Lumpenmann aus Clays Traum, sein lebendig gewordenes Porträt. Die Buchstaben auf der Brust der löchrigen roten Kapuzenjacke ergaben tatsächlich das Wort HARVARD. Das Fleisch der aufgerissenen linken Wange war wieder hochgeklappt und mit zwei unbeholfenen weißen Stichen festgenäht worden, die in das schlecht geflickte dunkle Fleisch tränenförmige Spuren gerissen hatten, bevor sie gehalten hatten. Schlitze zeigten, wo ein dritter und vierter Stich ausgerissen waren. Clay hatte den Eindruck, als Nähgarn habe eine Angelschnur gedient. Die herabhängende Unterlippe ließ Zähne sehen, um die sich anscheinend bis vor kurzem, als die Welt noch friedlicher war, ein guter Zahnarzt gekümmert hatte.
    Vor der Haustür lag ein Haufen aus missgestalteten schwarzen Klumpen, der die Fußmatte bedeckte und sich nach beiden Seiten erstreckte. Der Haufen hätte fast der Vorstellung irgendeines halb verrückten Bildhauers entsprungen sein können, die dieser von Kunst hatte. Clay brauchte aber nur einen Augenblick, um zu erkennen, dass er die geschmolzenen Überreste der Gettoblaster des Schwarms vom Tonney-Sportplatz vor sich hatte.
    Auf einmal schrie Alice auf. Einige der von der Hitze verzogenen Gettoblaster waren heruntergepurzelt, als Clay die Tür geöffnet hatte, und etwas, das sehr wahrscheinlich ganz oben auf dem Haufen gelegen hatte, war mit herabgefallen und lag nun an dessen Rand. Alice trat vor, bevor Clay sie aufhalten konnte, ließ eine der beiden Pistolen fallen und grapschte nach dem Ding. Es war der Baby-Nike, der Turnschuh. Sie hielt ihn an die Brust gepresst fest und starrte die anderen mit leicht zusammengekniffenen Augen an, als sollten sie es nur wagen, ihn ihr wegnehmen zu wollen.
    Clay sah an ihr vorbei zu Tom hinüber, der seinen Blick erwiderte. Sie waren zwar keine Telepathen, aber in diesem Moment hätten sie welche sein können. Was nun?, fragten Toms Augen.
    Clay wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Lumpenmann zu. Er fragte sich, ob man es spürte, wenn jemand die Gedanken von einem las - und ob seine in dieser Sekunde gelesen wurden. Er streckte dem Lumpenmann die Hände entgegen. In einer hielt er noch den Revolver,

Weitere Kostenlose Bücher