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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wirres weißes Haar hing über die Rückenlehne herab. Clay erschien er wie ein Konzertpianist, der soeben den letzten Akkord eines schwierigen Stücks angeschlagen hatte.
    Er hörte Alice einen erstickten Schreckensschrei ausstoßen, nahm ihn aber kaum wahr. Clay, der sich wie ein Passagier im eigenen Körper fühlte, trat an den Schreibtisch und blickte auf das auf der Schreibunterlage liegende Blatt Papier. Obwohl es mit Blut befleckt war, konnte er lesen, was darauf geschrieben war; die Schreibschrift des Rektors war präzise und klar. Bis zuletzt alte Schule, hätte Jordan sagen können.
    aliene geisteskrank insane elnebajos vansinnig fou
    atamagoakashii gek dolzinnig hullu gila
    meschugge nebun dement
    Clay sprach nur Englisch und etwas Highschool-Französisch, aber er wusste recht gut, worum es sich hier handelte und was es bedeutete. Der Lumpenmann wollte, dass sie aufbrachen, und er wusste irgendwie, dass Rektor Ardai zu alt und zu arthritisch war, um sie zu begleiten. Daher war der Rektor gezwungen worden, sich an seinen Schreibtisch zu setzen und das Wort irrsinnig in vierzehn verschiedenen Sprachen zu schreiben. Und als er damit fertig war, war er dazu gezwungen worden, sich die Spitze des schweren Füllers, mit dem er geschrieben hatte, in das rechte Auge und von dort in das clevere alte Gehirn dahinter zu bohren.
    »Sie haben ihn zum Selbstmord gezwungen, oder?«, sagte Alice mit brechender Stimme. »Warum ihn und nicht uns? Warum ihn und nicht uns? Was wollen sie?«
    Clay dachte daran, wie der Lumpenmann in Richtung Academy Avenue, die zugleich die New Hampshire Route 102 war, gedeutet hatte. Die Handy-Verrückten, die nicht mehr richtig verrückt waren - oder nun auf irgendeine völlig neuartige Weise verrückt -, wollten, dass sie weiterzogen. Was darüber hinausging, war ihm ein Rätsel, und das war vielleicht auch gut so. Vielleicht war alles zu ihrem Besten. Vielleicht gab es doch so etwas wie Gnade.

VERBLASSENDE ROSEN, DIESER GARTEN IST VERBLÜHT
1
    In einem Schrank am Ende des Gangs fanden sie ein Dutzend Tischdecken aus feinem Leinen, und eines davon diente als Rektor Ardais Leichentuch. Alice erbot sich, es zuzunähen, und brach dann in Tränen aufgelöst zusammen, als sich zeigte, dass ihre Nähkünste oder ihre Nerven solcher Endgültigkeit nicht gewachsen waren. Tom löste sie ab, zog die Tischdecke glatt, schlug den Saum doppelt ein und nähte ihn mit raschen, fast professionellen überwendlichen Stichen zu. Clay hatte das Gefühl, einem Boxer zuzusehen, der einen unsichtbaren leichten Sandsack mit der Rechten bearbeitete.
    »Keine Witze«, sagte Tom, ohne aufzusehen. »Ich erkenne an, was du oben getan hast - das hätte ich nie geschafft -, aber ich kann im Augenblick keine witzige Bemerkung vertragen, nicht mal von der harmlosen Will und Grace- Sorte. Ich schaffs kaum, mich zusammenzureißen.«
    »Schon gut«, sagte Clay. Nichts lag ihm ferner, als Witze zu reißen. Und was das betraf, was er oben getan hatte ... nun, der Füller hatte aus dem Auge des Rektors gezogen werden müssen. Sie hatten ihn unmöglich darin stecken lassen können. Also hatte Clay die Sache übernommen und angestrengt in eine Ecke des Raums gesehen, während er ihn herausriss und nicht daran zu denken versuchte, was er gerade tat oder warum das Scheißding so verdammt festsaß, und es war ihm gelungen, die meiste Zeit nicht daran zu denken, aber der Füller war vernehmlich knirschend am Knochenrand der Augenhöhle des Alten entlanggeschrammt, als er endlich nachgegeben hatte, und dann war ein feuchtes, schleimiges Plumpsgeräusch zu hören gewesen, als sich etwas von der Stahlspitze der Schreibfeder gelöst hatte und auf die Schreibunterlage gefallen war. An diese Geräusche würde er sich vermutlich sein Leben lang erinnern, aber er hatte es geschafft, das verdammte Ding rauszuziehen, und nur das zählte.
    Draußen standen fast tausend Handy-Verrückte auf dem Rasen zwischen den rauchenden Ruinen des kleinen Fußballstadions und der Cheatham Lodge. Sie standen fast den ganzen Nachmittag lang dort. Dann, gegen fünf Uhr, verzogen sie sich schweigend in Richtung Gaiten. Clay und Tom trugen den verhüllten Leichnam des Rektors die Hintertreppe hinunter und legten ihn auf der rückwärtigen Veranda ab. Während draußen die Schatten länger wurden, versammelten die vier Überlebenden sich in der Küche und nahmen die Mahlzeit ein, die sie sich Frühstück zu nennen angewöhnt hatten.
    Jordan langte überraschend

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