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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Güte! Die anderen hinter ihm blieben ausdruckslos wie Roboter. Clay sah sie noch einen Augenblick lang an, dann schloss er behutsam die Haustür.
    »Tut mir Leid«, sagte Alice bedrückt. »Ich konnte es irgendwie nicht aushalten, sie schreien zu hören.«
    »Schon in Ordnung«, sagte Tom. »Nichts passiert. Und he, sie haben Mr. Sneaker zurückgebracht.«
    Sie betrachtete den kleinen Schuh. »Ob sie es deshalb rausgekriegt haben, dass wir es waren? Und es dann gewittert haben, wie wenn Bluthunde eine Spur aufnehmen?«
    »Nein«, sagte Jordan. Er saß auf dem hochlehnigen Stuhl neben dem Schirmständer und wirkte klein und verstört und erschöpft. »Das ist nur ihre Art auszudrücken, dass sie dich kennen. Zumindest glaube ich das.«
    »Genau«, sagte Clay. »Ich wette, dass sie gewusst haben, dass wir es waren, noch bevor sie hier angekommen sind. Sie haben es aus unseren Träumen herausgepickt, so wie wir sein Gesicht aus unseren Träumen herausgepickt haben.«
    »Aber ich habe nicht ...«, begann Alice.
    »Weil du eben aufgewacht bist«, sagte Tom. »Du wirst aber wahrscheinlich zu gegebener Zeit noch von ihm hören.« Er zögerte. »Das heißt, falls er noch was zu sagen hat. Ich verstehe ihr Verhalten nicht, Clay. Wir sind es gewesen. Wir haben es getan, und sie wissen, dass wir es waren. Davon bin ich überzeugt.«
    »Ja«, sagte Clay.
    »Warum haben Sie dann eine Gruppe schuldloser Flüchtlinge abgeschlachtet, wenn's ebenso leicht - na ja, fast ebenso leicht -gewesen wäre, hier einzudringen und uns zu erledigen? Das heißt, ich verstehe ja, wozu Vergeltungsmaßnahmen gut sein sollen, aber ich weiß einfach nicht, welchen Zweck .«
    Das war der Moment, in dem Jordan von seinem Stuhl glitt und mit jäh aufkeimender Sorge im Blick fragte: »Wo ist der Rektor?«

31
    Clay holte Jordan ein, als der Junge schon den Treppenabsatz im ersten Stock erreicht hatte. »Warte, Jordan«, sagte er.
    »Nein«, sagte Jordan. Sein Gesicht war weißer, ängstlicher als je zuvor. Die Haare schienen ihm vom Kopf abzustehen; Clay vermutete, das liege nur daran, dass der Junge dringend einen Haarschnitt brauchte, obwohl es so wirkte, als wollten die Haare sich sträuben. »Bei der ganzen Aufregung hätte er bei uns sein sollen! Er wäre bei uns gewesen, wenn er gekonnt hätte!« Seine Lippen zitterten. »Erinnern Sie sich, wie er sich die Brust gerieben hat? Was ist, wenn das nicht nur sein Sodbrennen war?«
    »Jordan .«
    Aber Jordan hörte nicht zu, und Clay wäre jede Wette eingegangen, dass er den Lumpenmann und seine Schar zumindest vorläufig ganz vergessen hatte. Der Junge riss sich von Clays Hand los, rannte den Gang entlang und rief laut: »Sir! Sir!«, während Rektoren, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichten, ihn von den Wänden herab stirnrunzelnd betrachteten.
    Clay sah die Treppe hinunter. Von Alice war keine Hilfe zu erwarten - sie saß mit gesenktem Kopf auf der untersten Stufe und starrte diesen beschissenen Turnschuh an, als handelte es sich dabei um Yoricks Schädel -, aber Tom kam widerstrebend in den ersten Stock herauf. »Wie schlimm wird's sein, denkst du?«, fragte er Clay.
    »Na ja . Jordan glaubt, dass der Rektor bei uns gewesen wäre, wenn er gekonnt hätte, und ich vermute, dass er .«
    Jordan begann zu kreischen. Seine Stimme war ein durchdringender Sopran, der sich wie ein Speer in Clays Kopf bohrte. Tatsächlich setzte Tom sich als Erster in Bewegung; Clay war mindestens drei, vielleicht sogar sieben Sekunden lang am Treppenende des Korridors festgenagelt, wo ihn ein einziger Gedanke festhielt: So schreit keiner, der jemanden aufgefunden hat, der einen Herzschlag erlitten hat. Der Alte muss die Sache irgendwie vermasselt haben. Vielleicht hat er die falschen Pillen geschluckt. Er war halb den Flur entlanggelaufen, als er Toms entsetzten Ausruf hörte - »O Gott Jordan sieh nicht hin« - der fast wie ein einziges Wort klang.
    »Warte!«, rief Alice hinter ihm, aber Clay hörte nicht auf sie. Die Tür der kleinen Zimmerflucht des Rektors im ersten Stock stand offen: das Arbeitszimmer mit seinen Büchern und der jetzt nutzlosen Kochplatte; dahinter das Schlafzimmer, dessen Tür auch offen stand, sodass Tageslicht hereinströmte. Tom stand vor dem Schreibtisch und hielt Jordans Kopf an den Bauch gepresst. Der Rektor saß hinter seinem Schreibtisch. Sein Gewicht hatte die Sitzfläche des Drehstuhls nach hinten gedrückt, und er schien mit dem verbliebenen Auge zur Zimmerdecke hinaufzustarren. Sein

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