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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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musste Johnny-Gee zugestoßen sein.
    Clay wusste, dass dem so war. Er kam bereits zu spät.
    Weshalb war er also im Nieselregen nachts weiter nach Norden unterwegs? Nicht weit vor ihm lag Newfield, wo er von der Route 11 auf die Route 160 überwechseln würde, und er ahnte, dass er nicht sehr lange der Route 160 folgen würde, bevor er aufhören würde, Straßenschilder (oder irgendetwas anderes) lesen zu können, warum also?
    Aber er wusste, weshalb, genau wie er wusste, dass dieser Aufprall in der Ferne und das kurze, leise Hupen, das er in der regnerischen Dunkelheit vor sich hörte, bedeuteten, dass einer der rasenden Sprinter tödlich verunglückt war. Weiter unterwegs war er wegen der Nachricht an der Tür, die von einem kaum fingerbreiten Stück Klebeband festgehalten worden war, als er sie gerettet hatte; der gesamte Rest hatte sich bereits abgelöst. Weiter unterwegs war er wegen der zweiten Nachricht, die er am Schwarzen Brett des Rathauses vorgefunden hatte, wo sie durch Iris Nolans hoffnungsvolle Mitteilung an ihre Schwester halb verdeckt gewesen war. Sein kleiner Sohn hatte zweimal das Gleiche in Großbuchstaben geschrieben: KOMM BITTE UND HOL MICH.
    Selbst wenn er zu spät kam, um Johnny zu retten, kam er vielleicht nicht zu spät, um ihn zu sehen und ihm zu sagen, dass er es versucht hatte. Vielleicht konnte er lange genug bei Verstand bleiben, um wenigstens das zu tun, selbst wenn sie ihn dazu zwangen, eines der Handys zu benutzen.
    Was die Podeste und die vielen tausend Zuschauer betraf ...
    »In Kashwak gibt's kein Footballstadion«, sagte er.
    In seinem Kopf flüsterte Jordan: Es ist ein virtuelles Stadion.
    Clay schob diesen Gedanken beiseite. Schob ihn von sich fort. Sein Entschluss stand fest. Er war natürlich Wahnsinn, aber das hier war jetzt eine wahnsinnige Welt, mit der er sich somit in perfekter Übereinstimmung befand.

4
    Um Viertel vor drei an diesem Morgen, fußkrank und ziemlich durchnässt trotz des Parkas mit Kapuze, den er aus dem Hausmeisterhäuschen in Springvale befreit hatte, erreichte Clay die Kreuzung der Routen 11 und 160. Auf der Kreuzung hatte es eine Massenkarambolage gegeben, und die Corvette, die in North Shapleigh an ihm vorbeigerast war, gehörte jetzt mit dazu. Der Fahrer hing aus dem stark zusammengedrückten linken Seitenfenster - Kopf nach unten, die Arme baumelnd -, und als Clay das Gesicht des Mannes hochheben wollte, um zu sehen, ob er noch lebte, fiel die obere Körperhälfte auf den Asphalt und zog eine fleischige Spur aus Darmschlingen hinter sich her. Clay torkelte schaudernd gegen einen Telefonmasten, presste seine plötzlich heiße Stirn ans Holz und übergab sich, bis nichts mehr kam.
    Jenseits der Kreuzung, wo die 160 nach Norden weiterführte, stand die Handelsniederlassung Newfield. Ein Schild im Schaufenster versprach SÜSSIGKEITEN EINHEIMISCHER SIRUP INDIANERKUNST »NIPSACHEN«. Der Laden schien demoliert und ausgeraubt worden zu sein, aber er bot Schutz vor dem Regen und Abstand zu dem beiläufigen, unerwarteten Horror, auf den er soeben gestoßen war. Clay ging hinein, setzte sich und hielt den Kopf gesenkt, bis er nicht mehr das Gefühl hatte, ohnmächtig umkippen zu müssen. Hier gab es Leichen, er konnte sie riechen, aber jemand hatte sie bis auf zwei mit einer Plane zugedeckt, und diese beiden waren wenigstens nicht zerstückelt. Der im Laden stehende Kühlschrank mit Bier war zertrümmert und geleert worden, der Colaautomat nur demoliert. Er nahm sich ein Ginger-Ale, trank es in langsamen großen Zügen und machte zwischendurch eine Pause, um zu rülpsen. Danach fühlte er sich etwas besser.
    Er sehnte sich verzweifelt nach seinen Freunden. Der Verunglückte dort draußen und der Unbekannte, mit dem er sich ein Wettrennen geliefert hatte, waren die einzigen Sprinter gewesen, die er in dieser Nacht gesehen hatte, einer Flüchtlingsgruppe zu Fuß war er nirgends begegnet. Er hatte die ganze Nacht nur mit seinen Gedanken als Begleitern verbracht. Vielleicht hielt das Wetter die Reisenden davon ab, unterwegs zu sein, möglicherweise wanderten sie jetzt ja auch tagsüber. Es gab keinen Grund für sie, das nicht zu tun, wenn die Phoner jetzt von Mord auf Konversion umgestellt hatten.
    Clay fiel auf, dass ihm heute Nacht kein einziger Ton Schwarmmusik, wie Alice sie genannt hatte, zu Ohren gekommen war. Vielleicht waren alle Schwärme südlich von hier - außer dem großen (irgendwie musste es ein großer sein), der die Kashwak-Konver-sionen

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