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Puls

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Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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handhabte. Clay war das egal; auch wenn er allein und einsam war, empfand er die Tatsache, dass er »I Hope You Dance« und »The Theme From A Summer Place« nicht mehr hören musste, als kleines Geschenk.
    Er beschloss, höchstens noch eine Stunde zu marschieren und sich dann ein Loch zu suchen, in dem er sich verkriechen konnte.
    Der kalte Regen machte ihn fertig. Als er die Handelsniederlassung verließ, sah er bewusst nicht hinüber zu der verunglückten Corvette oder den regennassen menschlichen Überresten daneben.

5
    Letztlich marschierte er fast bis Tagesanbruch weiter, teils weil der Regen aufhörte, aber vor allem deshalb, weil es beiderseits der Route 160 kaum etwas gab, wo man Unterschlupf finden konnte, nur Wälder. Dann, gegen halb fünf, kam er an einem von Schüssen durchlöcherten Schild mit der Aufschrift SIE BETRETEN GURLEYVILLE, EIN GEMEINDEFREIES GEBIET. Ungefähr zehn Minuten später kam er an etwas vorbei, was sozusagen der Daseinszweck Gurleyvilles war: dem Steinbruch Gurleyville, einem riesigen Felsloch mit ein paar Schuppen, Muldenkippern und einer Garage am Fuß der ausgehöhlten Granitwände. Clay überlegte kurz, ob er in einem der Geräteschuppen schlafen sollte, traute sich aber zu, noch etwas Besseres zu finden, und ging weiter. Noch immer hatte er keine Reisenden gesehen und keine Schwarmmusik gehört, nicht mal in der Ferne. Er hätte der letzte Mensch auf Erden sein können.
    Das war er nicht. Als der Steinbruch ungefähr zehn Minuten hinter ihm lag, kam er über einen Hügel und sah unter sich ein kleines Dorf liegen. Das erste Gebäude, an dem er vorbeikam, war die Freiwillige Feuerwehr Gurleyville (BLUTSPENDEAKTION AN HALOWEEN NICH VERGESSEN Stand auf der Anschlagtafel vor dem Feuerwehrhaus; nördlich von Springvale konnte anscheinend niemand mehr rechtschreiben), und auf dem Parkplatz standen sich zwei Handy-Leute vor einem traurig aussehenden alten Löschfahrzeug gegenüber, das neu gewesen sein musste, als der Koreakrieg zu Ende gegangen war.
    Sie drehten sich langsam nach Clay um, als er den Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf sie richtete, wandten sich dann aber wieder einander zu. Es handelte sich um zwei Männer, einer etwa fünfundzwanzig, der andere ungefähr doppelt so alt. Dass sie Phoner waren, stand außer Zweifel. Ihre Kleidung war schmutzig und fiel fast von ihnen ab. Ihre Gesichter wiesen Schnitt- und Schürfwunden auf. Der junge Mann schien sich den ganzen rechten Arm schwer verbrannt zu haben. Das linke Auge des Älteren glitzerte aus schlimm angeschwollenem und vermutlich entzündetem Fleisch. Aber wie sie aussahen, war nicht entscheidend. Viel wichtiger war, was Clay bei sich selbst wahrnahm: dieselbe unheimliche Kurzatmigkeit, die Tom und er im Kassenhäuschen der Citgo-Tankstelle in Gaiten gespürt hatten, als sie sich die Schlüssel der Gastankwagen geholt hatten. Dieses Gefühl irgendeiner sich sammelnden gewaltigen Kraft.
    Und es war Nacht. Wegen der dichten Wolkendecke blieb die Morgendämmerung vorerst noch ein Gerücht. Wieso waren diese beiden Kerle nachts auf den Beinen?
    Clay knipste seine Lampe aus, zog den Nickerson-Colt und wartete ab, was passieren würde. Einige Sekunden lang schien sich nichts zu ereignen, so als wäre die merkwürdige Kurzatmigkeit, dieses Gefühl, irgendein Ereignis stehe unmittelbar bevor, schon alles. Dann hörte er ein hohes Schwirren, fast als ließe jemand ein Sägeblatt zwischen den Händen vibrieren. Clay hob den Kopf und stellte fest, dass die Drähte einer am Feuerwehrhaus vorbeiführenden Oberleitung so heftig vibrierten, dass sie kaum zu sehen waren.
    »Geh-weg!« Das war der junge Mann, der die Wörter mit gewaltiger Anstrengung hervorzustoßen schien. Clay fuhr zusammen. Hätte sein Finger am Abzug des Revolvers gelegen, hätte er vermutlich abgedrückt. Das war nicht Aw oder Iiin, das waren richtige Wörter. Er glaubte, sie auch in seinem Kopf zu hören, aber nur schwach, ganz schwach. Nur als ein ersterbendes Echo.
    »Geh! ... Du!«, erwiderte der Ältere. Er trug sackartige Bermudashorts mit einem riesengroßen braunen Fleck auf der Sitzfläche. Das konnte Schmutz, aber auch Scheiße sein. Er sprach ebenso mühsam, aber diesmal vernahm Clay kein Echo. Paradoxerweise wusste er nun umso sicherer, dass er das erste Echo gehört hatte.
    Ihn hatten sie jetzt völlig vergessen. Da war er sich nun sicher.
    »Meiner!«, sagte der Jüngere, indem er auch dieses Wort hervorstieß. Und er stieß es hervor. Sein ganzer

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