Puls
Videodownloads laufen.«
»Mein Mann«, sagte Denise und brach in Tränen aus. »Außer er ist tot. Ich bete zu Gott, dass er tot ist.«
Einen Augenblick länger verstand Clay noch immer nichts. Und dann dachte er: John? Mein Johnny? Er sah, wie der Lumpenmann eine Hand über seinen Kopf hielt, hörte den Lumpenmann das Urteil sprechen: »Ecce homo - insanus.« Und sah seinen Sohn auf sich zukommen: mit seiner Little-League-Mütze und in seinem liebsten Red-Sox-Trikot, dem mit Tim Wakefields Namen und Rückennummer. Johnny, ganz klein unter den Augen von Millionen, die dank des Wunders gruppendynamischer Telepathie in Konferenzschaltung zusahen.
Der kleine Johnny-Gee, lächelnd. Mit leeren Händen.
Mit nichts als den Zähnen in seinem Mund bewaffnet.
3
Es war Ray, der das Schweigen brach, obwohl Ray gar nicht da war.
»O Jesus.« Es kam aus einiger Entfernung den Wanderweg entlang. »Scheiße!« Dann: »Jo, Clay!«
»Was gibt's denn?«, rief Clay zurück.
»Du bist hier oben doch zu Hause, richtig?« Das war nicht die Stimme eines fröhlichen Campers. Clay sah die anderen an, die seinen Blick nur ausdruckslos erwiderten. Jordan zuckte die Achseln, drehte die Handflächen nach oben und wirkte so einen herzzerreißenden Augenblick lang wie ein Beinahe-Teenager - statt nur wie ein weiterer Flüchtling im Handykrieg.
»Na ja ... weiter südlich, aber im Prinzip ja.« Clay stand auf. »Wo liegt das Problem?«
»Du weißt also, wie Giftefeu und Gifteiche aussehen, richtig?«
Denise bekam einen stummen Lachanfall und schlug beide Hände vor den Mund.
»Ja«, sagte Clay. Er musste selbst unwillkürlich grinsen. Natürlich wusste er, wie die beiden Pflanzen aussahen, hatte er Johnny und dessen Spielkameraden seinerzeit doch oft genug davor gewarnt.
»Also gut, komm hier rauf und sieh sie dir an«, sagte Ray. »Aber komm allein.« Dann fast ohne Pause: »Denise, ich brauche keine Telepathie, um zu wissen, dass du lachst. Halt bloß die Klappe, Mädel.«
Clay verließ den Rastplatz, ging an dem Schild WANDERN? NEHMEN SIE EINE KARTE MIT! vorbei und folgte dann dem hübschen kleinen Bach. In den Wäldern war jetzt alles hübsch: eine Palette leuchtender Herbstfarben, die sich mit dem soliden, unveränderlichen Grün der Tannen mischten, und er vermutete (übrigens nicht zum ersten Mal), wenn Männer und Frauen Gott einen Tod schuldeten, dann gab es schlimmere Jahreszeiten als diese, um seiner Verpflichtung nachzukommen.
Er hatte erwartet, dass Ray den Reißverschluss seiner Hose geöffnet oder sie sogar heruntergelassen haben würde, aber Ray stand angezogen auf einem Nadelteppich, und sein Hosengürtel war geschlossen. Um ihn herum gab es keinerlei Unterholz, weder Giftefeu noch sonst etwas. Er war so blass, wie Alice gewesen war, als sie ins Wohnzimmer der Nickersons gestürzt war, um sich zu übergeben: mit so weißer Haut, dass sie wie abgestorben aussah. Nur seine Augen besaßen noch Leben. Sie brannten in seinem Gesicht.
»Komm her«, sagte er und flüsterte dabei wie auf dem Gefängnishof. Clay konnte ihn wegen des geräuschvoll murmelnden Bachs kaum verstehen. »Schnell. Wir haben nicht viel Zeit.«
»Ray, was zum Teufel .«
»Hör einfach nur zu. Dan und dein Kumpel Tom, die sind zu clever. Jordy auch. Manchmal ist Denken störend. Denise ist da besser dran, aber sie ist schwanger. Auf eine Schwangere kann man sich nicht verlassen. Also bleibst du übrig, Herr Künstler. Das gefällt mir zwar nicht, weil du noch an deinem Jungen hängst, aber mit dem ist's wohl aus. Das weißt du im Innersten selbst. Dein Sohn ist erledigt.«
»Alles in Ordnung bei euch dort oben, Jungs?«, rief Denise, und obwohl Clay wie vor den Kopf geschlagen war, konnte er das Lächeln in ihrer Stimme hören.
»Ray, ich weiß nicht, was .«
»Egal, und dabei bleibt's auch. Hör nur zu. Was dieser Scheißkerl in der roten Kapuzenjacke will, braucht nicht zu passieren, wenn du's nicht zulässt. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
Ray griff in eine Tasche seiner Kakihose und holte ein Handy und einen Fetzen Papier heraus. Das Mobiltelefon war vor Schmutz ganz grau, so als hätte es den größten Teil seines Lebens in einer werktätigen Umgebung verbracht.
»Steck beides ein. Im richtigen Augenblick musst du die Nummer auf diesem Zettel wählen. Du wirst wissen, wann die Zeit dafür gekommen ist. Ich hoffe jedenfalls, dass du's wissen wirst.«
Clay nahm das Handy entgegen. Er konnte es nur nehmen oder fallen lassen. Das kleine
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