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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Stück Papier rutschte ihm durch die Finger.
    »Aufheben!«, flüsterte Ray scharf.
    Clay bückte sich und hob den Zettel auf. Es war eine zehnstellige Zahl daraufgekritzelt. Die drei ersten Ziffern waren die Vorwahl für Maine. »Ray, sie können Gedanken lesen! Wenn ich das hier habe .«
    Rays Lippen verzogen sich zur schrecklichen Parodie eines Grinsens. »Genau!«, flüsterte er. »Sie gucken in deinen Kopf und stellen fest, dass du an ein beschissenes Handy denkst! Woran sonst denkt jeder schon groß seit dem ersten Oktober? Das heißt, diejenigen von uns, die noch zu 'nem gottverdammten Gedanken imstande sind?«
    Clay betrachtete das schmutzige, verkratzte Handy. Auf dem Gehäuse klebten zwei Streifen aus einem Beschriftungsgerät. Auf dem oberen stand ein Name: MR. FOGARTY. Auf dem unteren: EIGENTUM STEINBRUCH GURLEYVILLE - NICHT MITNEHMEN.
    »Steck's in deine Scheißtasche!«
    Es war nicht die Dringlichkeit des Befehls, die ihn gehorchen ließ, sondern das Drängen in diesem verzweifelten Blick. Clay machte sich daran, das Handy und den Fetzen Papier einzustecken. Er trug Jeans, deren Taschen enger waren als die von Rays Kakihose. Als er nach unten blickte, um die Tasche zu weiten, streckte Ray eine Hand aus und zog Beth Nickersons .45er aus dem Holster. Als Clay aufsah, hatte Ray die Mündung bereits unter dem Kinn.
    »Damit tust du deinem Jungen einen Gefallen, Clay. Glaub mir, das ist eine beschissene Art zu leben.«
    »Ray, nein!«
    Ray drückte ab. Das sich zerlegende American-Defender-Ge-schoss riss ihm die gesamte Schädeldecke ab. Von den Bäumen in der Umgebung flog ein ganzer Schwarm Krähen auf. Clay hatte nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt da waren, aber jetzt hallte der Herbsttag von ihrem Krächzen wider.
    Eine Zeit lang übertönte er sie mit seinen Schreien.

4
    Sie hatten kaum angefangen, aus der weichen dunklen Erde unter den Tannen ein Grab für ihn herauszukratzen, als die Phoner in ihre Köpfe griffen. Clay spürte diese kollektive Kraft zum ersten Mal. Wie Tom gesagt hatte, fühlte es sich an, als würde man von einer kräftigen Hand im Rücken vorwärts geschoben. Das heißt, wenn die Hand und der Rücken sich im Kopf des Betreffenden befanden. Keine Worte. Nur dieses Schieben.
    »Bringen wir das zu Ende!«, rief er aufgebracht und antwortete sich gleich mit etwas höherer Stimme, die er sofort erkannte. »Nein. Geht. Jetzt.«
    »In fünf Minuten haben wir's geschafft!«, sagte er.
    Dieses Mal benutzte der Schwarm Denise' Stimme. »Geht. Jetzt.«
    Tom wälzte Rays Leiche - die Überreste des Kopfes in den Überzug einer Kopfstütze aus dem Bus gewickelt - in die flache Grube und scharrte mit den Füßen etwas Erde darüber. Dann griff er sich mit beiden Händen an den Kopf und verzog dabei das Gesicht. »Okay, okay«, sagte er, dann antwortete er sich sofort selbst: »Geht. Jetzt.«
    Sie folgten dem Wanderweg zum Rastplatz hinunter, wobei Jordan vorausging. Er war sehr blass, aber Clay fand, dass er nicht so blass war wie Ray in der letzten Minute seines Lebens. Nicht einmal annähernd so blass. Das ist eine beschissene Art, zu leben: seine letzten Worte.
    Auf der anderen Straßenseite standen in einer Reihe, die sich etwa eine halbe Meile weit bis zu beiden Horizonten erstreckte, Phoner in Rührt-euch-Stellung wie bei einer Parade. Es mussten mindestens vierhundert sein, den Lumpenmann konnte Clay allerdings nirgends entdecken. Vermutlich war er vorausgegangen, um den Weg zu bereiten, denn in des Lumpenmanns Haus waren viele Wohnungen.
    Und alle mit Telefonanschluss, dachte Clay.
    Während sie zu dem kleinen Schulbus weitergingen, sah er, wie drei Phoner die lange Reihe verließen. Zwei von ihnen fingen an, sich zu prügeln, zu beißen und gegenseitig die Kleidung zu zerreißen, wobei sie Laute knurrten, die Worte hätten sein können -Clay glaubte einmal, den Ausdruck Miststück zu hören, aber das konnte auch eine zufällige Aneinanderreihung zweier Silben gewesen sein. Der dritte Phoner machte einfach kehrt und marschierte auf der weißen Mittellinie in Richtung Newfield davon.
    »So ist's recht, weggetreten, Kamerad!«, rief Denise hysterisch schrill. »Ihr könnt alle wegtreten!«
    Aber das taten sie nicht, und bevor der Deserteur - falls es einer war - die Kurve erreichte, wo die Route 160 in südlicher Richtung verschwand, streckte ein älterer, aber kräftig gebauter Phoner einfach die Arme aus, packte den Kopf des Vorbeigehenden und ruckte daran. Der Wanderer brach auf

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