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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schon groß gedacht?
    Der Lumpenmann hob eine Hand und deutete mit einem verkrümmten, schlimm zugerichteten Finger auf Clay. »No-Fo-dich-dich«, sagte Clay in jener anderen Stimme. »Insanus.«
    »Genau, No-Fo-mich-mich, No-Fo für alle von uns, in diesem Bus sind wir alle unbeleckt«, sagte Clay. »Aber das werdet ihr ändern, stimmt's?«
    Der Lumpenmann grinste, als wollte er sagen, das sei richtig - aber die kleine senkrechte Falte stand weiter auf seiner Stirn. Als rätselte er noch immer über etwas nach. Vielleicht über etwas, was in Clay Riddells Verstand umherrollte und - purzelte.
    Als sie sich dem Ende der Mittelstraße näherten, sah Clay zum Innenspiegel auf. »Tom, du hast mich gefragt, was das North End ist«, sagte er.
    »Entschuldige, Clay, aber mein Interesse scheint sich verflüchtigt zu haben«, sagte Tom. »Liegt möglicherweise am bombastischen Empfangskomitee.«
    »Trotzdem, es ist nämlich ziemlich interessant«, sagte Clay etwas fieberhaft.
    »Okay, um was geht's da?«, fragte Jordan. Gott segne Jordan. Neugierig bis zuletzt.
    »Die Northern Counties Expo war im 20. Jahrhundert nie eine große Sache«, sagte Clay. »Bloß eine beschissene kleine Landwirtschaftsschau mit Kunsthandwerk, landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Zuchtvieh dort drüben in der Kashwakamak-Halle ... in der sie uns anscheinend unterbringen wollen.«
    Er sah zum Lumpenmann hinüber, der das jedoch weder bestätigte noch dementierte. Der Lumpenmann grinste nur. Die kleine senkrechte Stirnfalte war verschwunden.
    »Clay, pass auf«, sagte Denise mit angespannter, beherrschter Stimme.
    Er sah wieder nach vorn und trat sofort auf die Bremse. Eine alte Frau mit entzündeten Fleischwunden an beiden Beinen kam aus der schweigenden Menge gewankt. Sie umging den Fuß des Sprungturms, trampelte über mehrere Sektionen der Geisterbahn hinweg, die vormontiert, aber noch nicht aufgerichtet gewesen waren, als der Puls gekommen war, und rannte dann watschelnd los - direkt auf den Schulbus zu. Kaum hatte sie ihn erreicht, hämmerte sie mit schmutzigen, arthritisch verkrümmten Händen langsam an die Windschutzscheibe. Was Clay im Gesicht dieser Frau sah, war nicht die gierige Ausdruckslosigkeit, die er mit den Phonern in Verbindung zu bringen gelernt hatte, sondern eine schreckliche Desorientierung. Und die war ihm vertraut. Wer bist du?, hatte Pixie Dark gefragt. Pixie Dark, die den Puls nicht direkt abbekommen hatte. Wer bin ich?
    Neun Phoner, die ein wandelndes ordentliches Quadrat bildeten, kamen hinter der alten Frau her, deren Gesicht keine eineinhalb Meter von Clays entfernt war. Ihre Lippen bewegten sich, und er hörte drei Wörter, mit den Ohren ebenso wie in seinem Kopf: »Nehmt mich mit.«
    Wir sind nirgendwohin unterwegs, wo es dir gefallen würde, Lady, dachte Clay.
    Dann bekamen die Phoner sie zu fassen und schleppten sie in die Menge auf der begrünten Freifläche zurück. Sie wehrte sich, aber die neun kannten kein Erbarmen. Clay fing einen letzten Blick von ihr auf und hielt ihn für den Blick einer Frau, die von Glück sagen konnte, wenn sie nur im Fegefeuer war. Eher war sie bereits in der Hölle.
    Der Lumpenmann hob wieder die Hand und ließ den Zeigefinger kreisen: Weiterfahren.
    Die alte Frau hatte auf der Windschutzscheibe einen Handabdruck zurückgelassen - geisterhaft, aber deutlich sichtbar. Clay sah durch ihn hindurch und fuhr weiter.

4
    »Jedenfalls«, sagte er, »war die Expo bis 1999 keine große Sache. Wer in diesem Teil der Welt gelebt hat und auf Fahrgeschäfte und Glücksspiele aus war - Jahrmarktszeug halt -, musste zum Jahrmarkt nach Fryeburg runterfahren.« Er hörte die eigene Stimme wie auf einer Tonbandschleife leiern. Reden um des Redens willen. Er musste unwillkürlich daran denken, wie die Fahrer der Duck-Boat-Rundfahrten immer die Bostoner Sehenswürdigkeiten erklärt hatten. »Dann hat die Staatsbehörde für Indianerangelegenheiten kurz vor der Jahrhundertwende eine Neuvermessung vornehmen lassen. Jeder wusste, dass das Expo-Gelände dicht am Rand der Reservation Sockabasin liegt; die Neuvermessung hat dann aber ergeben, dass das Nordende der Kashwakamak-Halle eigentlich schon auf dem Gebiet der Reservation liegt. Also auf Land, das den Micmac-Indianern gehört. Die Leute im Verwaltungsrat der Expo waren keine Dummies - und die im Stammesrat der Micmacs auch nicht. Sie haben sich darauf geeinigt, die kleinen Shops im Nordteil der Halle abzubauen und dafür Spielautomaten aufzustellen. Und

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