Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
noch immer als sein Zuhause betrachtete. Er musste mit ihr reden. Um sich zu vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung war, und um ihr mitzuteilen, auch ihm fehle nichts, aber das waren nicht die wichtigen Dinge. Sich davon zu überzeugen, dass mit Johnny alles in Ordnung war, war wichtig, aber da gab es etwas, was noch wichtiger war. Sogar lebenswichtig.
    Er besaß kein Handy, und Sharon hatte ebenfalls keines, das wusste er ziemlich sicher. Sie konnte sich zwar eines zugelegt haben, seit sie sich im April getrennt hatten, aber sie wohnten weiter in derselben Kleinstadt, wo er sie auch fast täglich traf, und wenn sie neuerdings ein Handy besaß, hätte er das mitbekommen. Vor allem hätte sie ihm ihre Nummer gegeben, richtig? Richtig. Aber ...
    Aber Johnny hatte eines. Der kleine Johnny-Gee, der nicht mehr so klein war, zwölf war nicht so klein, und das hatte er sich letztes Mal zum Geburtstag gewünscht. Ein rotes Handy, das die Erkennungsmelodie seiner liebsten Fernsehsendung spielte, wenn jemand anrief. Natürlich durfte er es im Unterricht nicht einschalten oder auch nur aus seinem Schulranzen holen, aber für heute war die Schule längst aus. Außerdem ermutigten Clay und Sharon ihn sogar, es mitzunehmen, was teilweise mit ihrer Trennung zusammenhing. Es konnte Notfälle oder kleinere Unannehmlichkeiten wie einen verpassten Bus geben. Woran Clay sich jetzt klammern musste, war Sharons Klage, wenn sie in letzter Zeit in Johnnys Zimmer sehe, liege das Handy meistens vergessen auf dem Schreibtisch oder dem Fensterbrett neben dem Bett: nicht am Ladegerät und tot wie Hundescheiße.
    Trotzdem tickte der Gedanke an Johnnys rotes Handy in Clays Kopf wie eine Zeitbombe weiter.
    Er berührte das Festnetztelefon an der Rezeption, zog die Hand dann aber wieder zurück. Draußen explodierte wieder etwas, aber diesmal in weiter Ferne. Als würde man eine Artilleriegranate detonieren hören, während man selbst weit hinter der Front war.
    Das darfst du nicht annehmen, dachte er. Du darfst nicht einmal annehmen, es gäbe Fronten.
    Er ließ den Blick durch die Eingangshalle wandern, und sah McCourt neben Alice kauern, die auf dem Sofa saß. Er sprach leise murmelnd mit ihr, berührte einen ihrer Mokassins und sah dabei in ihr Gesicht auf. Das war gut. Er war gut. Clay war zunehmend froh, dass Tom McCourt ihm über den Weg gelaufen war . oder dass er Tom McCourt über den Weg gelaufen war.
    Das Festnetz war vermutlich in Ordnung. Die Frage war allerdings, ob »vermutlich« ausreichte. Er hatte eine Frau, für die er gewissermaßen noch verantwortlich war, und was seinen Sohn betraf, gab es überhaupt kein Gewissermaßen. Sogar an Johnny zu denken war gefährlich. Jedes Mal wenn seine Gedanken sich dem Jungen zuwandten, spürte Clay in seinem Verstand eine Panikratte, die sich bereitmachte, aus ihrem nicht sonderlich stabilen Käfig auszubrechen, um mit ihren scharfen kleinen Zähnen alles anzunagen, was in Reichweite war. Wenn er sich vergewissern konnte, dass es Johnny und Sharon gut ging, konnte er die Ratte weiter in ihrem Käfig gefangen halten und die nächsten Schritte planen. Machte er jedoch eine Dummheit, würde er niemandem helfen können. Stattdessen konnte er für die Leute hier alles noch schlimmer machen. Er dachte kurz darüber nach, dann rief er den Hotelangestellten.
    Weil aus dem Büro hinter der Rezeption keine Antwort kam, rief er noch einmal. Als noch immer niemand antwortete, sagte er: »Ich weiß, dass Sie mich hören, Mr. Ricardi. Wenn ich reinkommen muss, um Sie eigenhändig dort rauszuholen, wäre ich verärgert. Vielleicht bin ich dann so verärgert, dass ich mir überlege, Sie auf die Straße zu setzen.«
    »Das können Sie nicht«, sagte Mr. Ricardi in mürrisch belehrendem Ton. »Sie sind ein Gast des Hotels.«
    Clay überlegte, ob er wiederholen solle, was McCourt noch draußen vor dem Eingang zu ihm gesagt hatte: Die Zeiten haben sich geändert. Aber irgendetwas bewog ihn dazu, den Mund zu halten.
    »Was«, sagte Mr. Ricardi schließlich. Seine Stimme klang noch mürrischer als zuvor. Von oben kam nämlich ein noch lauteres Poltern, so als hätte jemand ein schweres Möbelstück umgestürzt. Vielleicht eine Kommode oder einen Schreibtisch. Diesmal sah sogar das Mädchen auf. Clay glaubte, einen gedämpften Schrei zu hören - oder vielleicht ein schmerzliches Aufheulen -, aber es gab keine Wiederholung. Was lag dort oben im ersten Stock? Jedenfalls kein Restaurant; er erinnerte sich daran,

Weitere Kostenlose Bücher