Puls
sollten alle versuchen, uns heute möglichst gut auszuruhen. Das heißt, wenn wir weiterhin nach Norden wollen.«
Clay musterte ihn, um sich davon zu überzeugen, dass McCourt noch bei Verstand war. Das schien er zu sein, aber .
»Haben Sie nicht gesehen, was dort draußen vorgeht?«, fragte er. »Haben Sie nicht die Schüsse gehört? Die ...« Er wollte in Alice' Gegenwart nicht Schreie sagen, obwohl dieser Versuch, auf ihre verbliebene Empfindsamkeit Rücksicht zu nehmen, weiß Gott etwas spät kam. »... das Gebrüll?«
»Natürlich«, sagte McCourt. »Aber die Irren haben sich letzte Nacht verkrochen, stimmt's?«
Einen Augenblick lang bewegte weder Clay noch Alice sich. Dann patschte Alice in die Hände, um leise, fast lautlos Beifall zu klatschen. Und Clay musste lächeln. Das Lächeln fühlte sich auf seinem Gesicht steif und ungewohnt an, und die Hoffnung, die es begleitete, war fast schmerzhaft.
»Tom, Sie sind wahrscheinlich ein Genie«, sagte er.
McCourt erwiderte sein Lächeln nicht. »Verlasst euch lieber nicht darauf«, sagte er. »Bei den College-Aufnahmetests hab ich nie über tausend Punkte erzielt.«
15
Alice, die sich sichtlich besser fühlte - und das musste gut sein, vermutete Clay -, ging nach oben, um sich aus McCourts Sachen etwas herauszusuchen, was sie tagsüber anziehen konnte. Clay saß auf dem Sofa, dachte an Sharon und Johnny und grübelte darüber nach, was sie wohl getan, wohin sie sich gewandt hatten - immer vorausgesetzt, dass sie glücklich zusammengefunden hatten. Er begann zu dösen und sah sie deutlich in der Kent Pond Elementary, Sharons Schule. Sie hatten sich mit zwei, drei Dutzend anderen in der Turnhalle verbarrikadiert, aßen Sandwichs aus der Schulkantine und tranken Milch aus diesen kleinen Tüten. Sie .
Clay schrak auf, weil Alice ihn von oben rief. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er fast zwanzig Minuten auf dem Sofa geschlafen hatte. Er hatte sich das Kinn voll gesabbert.
»Alice?« Er ging zur Treppe. »Alles okay?« Auch McCourt horchte nach oben.
»Ja, aber können Sie einen Augenblick raufkommen?«
»Klar.« Er sah zu McCourt hinüber, zuckte die Achseln und stieg die Treppe hinauf.
Alice war in einem Gästezimmer, das nicht so aussah, als hätte es schon viele Gäste gesehen, obwohl die beiden Kissen darauf schließen ließen, dass Tom die vergangene Nacht größtenteils hier bei ihr verbracht hatte, während das zerwühlte Bett darüber hinaus auf sehr schlechte Nachtruhe schließen ließ. Sie hatte eine Kakihose gefunden, die ihr halbwegs passte, und ein Sweatshirt mit dem Aufdruck CANOBIE LAKE PARK unter den Umrissen einer Achterbahn. Auf dem Fußboden stand ein großer Radiorekorder, eine tragbare Stereoanlage von der Art, nach der Clay und seine Freunde einst gegiert hatten, wie Johnny-Gee später nach dem roten Handy gegiert hatte. Clay und seine Freunde hatten solche Anlagen Gettoblaster oder Boombox genannt.
»Das Radio war im Kleiderschrank, und die Batterien sehen frisch aus«, sagte sie. »Ich wollte es einschalten und einen Sender suchen, aber dann hatte ich doch Angst.«
Clay betrachtete den Gettoblaster, der auf dem glänzenden Hartholzboden des Gästezimmers vor ihm stand, und hatte eben- falls Angst. Das Gerät hätte eine geladene Waffe sein können. Aber er spürte den Drang, eine Hand auszustrecken und den Wahlschalter, der jetzt auf CD zeigte, auf FM umzustellen. Er konnte sich vorstellen, dass Alice denselben Drang gespürt und ihn deshalb gerufen hatte. Der Drang, eine geladene Waffe anzufassen, wäre nicht anders gewesen.
»Den hat meine Schwester mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt«, sagte McCourt auf einmal von der Tür her, sodass sie beide zusammenfuhren. »Erst im Juli habe ich Batterien reingetan, um das Ding mit an den Strand zu nehmen. In meiner Jugend haben wir alle am Strand gelegen und Radio gehört, aber ein so großes Gerät habe ich nie gehabt.«
»Ich auch nicht«, sagte Clay. »Aber ich wollte immer eines.«
»Ich habe ihn mit einem Stapel CDs von Madonna und Van Halen nach Hampton Beach in New Hampshire mitgenommen, aber das war nicht mehr das Gleiche. Gar kein Vergleich. Seitdem habe ich ihn nicht mehr benützt. Wahrscheinlich ist eh längst kein Sender mehr in Betrieb, glaubt ihr nicht auch?«
»Ich wette, dass noch ein paar senden«, sagte Alice. Sie biss sich wieder auf die Unterlippe. Clay fürchtete, dass die Lippe zu bluten anfing, wenn sie nicht bald damit aufhörte. »Die Sender,
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