Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
sehr behaglich, voller Sonne. Lag man in einem Zimmer wie diesem, konnte man leicht vergessen, dass im Kleiderschrank ein Radio stand, das man nicht einzuschalten wagte. Nicht so leicht ließ sich vergessen, dass die eigene Frau - entfremdet, aber immer noch geliebt - tot sein und der eigene Sohn -nicht nur geliebt, sondern vergöttert - irrsinnig sein könnte. Trotzdem hatte der Körper gebieterische Bedürfnisse, oder nicht? Und wenn es jemals ein Zimmer für ein Mittagsschläfchen gegeben hatte, dann dieses. Die Panikratte zuckte, aber sie biss nicht zu, und Clay schlief praktisch in der Sekunde ein, in der er die Augen schloss.

17
    Diesmal war es Alice, die ihn wachrüttelte. Während sie das tat, schwang der kleine lila Turnschuh hin und her. Sie hatte ihn sich ans linke Handgelenk gebunden und dadurch in einen ziemlich gruseligen Talisman verwandelt. Das Tageslicht hatte sich verändert. Es fiel aus einer anderen Richtung ein und war schwächer geworden. Clay lag jetzt auf der Seite und verspürte Harndrang -ein sicheres Zeichen dafür, dass er längere Zeit geschlafen hatte. Er setzte sich rasch auf und war überrascht - fast erschrocken -, als er sah, dass es bereits Viertel vor sechs war. Er hatte über fünf Stunden geschlafen. Aber letzte Nacht war natürlich nicht die erste Nacht gewesen, in der er nicht genug Schlaf abbekommen hatte; auch in der Nacht davor hatte er schlecht geschlafen. Aus Nervosität wegen seiner Präsentation vor den Leuten von Dark Horse Comics.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er, indem er sie am Handgelenk fasste. »Warum habt ihr mich so lange schlafen lassen?«
    »Weil Sie's gebraucht haben«, sagte sie. »Tom hat bis zwei Uhr geschlafen und ich bis vier. Seitdem beobachten wir die Straße gemeinsam. Kommen Sie runter und sehen Sie sich's an. Ziemlich erstaunlich das Ganze.«
    »Schwärmen sie wieder?«
    Sie nickte. »Aber diesmal in die Gegenrichtung. Aber das ist nicht alles. Sie werden's ja gleich sehen.«
    Er leerte seine Blase, dann hastete er hinunter. McCourt und Alice standen an der Verandatür und hatten einander je einen Arm um die Taille gelegt. Gesehen werden konnten sie dort nicht; der Himmel hatte sich bezogen, und die Veranda lag bereits in dunkle Schatten gehüllt. Ohnehin waren auf der Salem Street nur wenige Leute unterwegs. Alle bewegten sich nach Westen, nicht eben rennend, aber doch in recht flottem Tempo. Auf der Straße selbst kam eine Vierergruppe vorbei, die über hingestreckte Leichen und ein Durcheinander aus Essensresten marschierte, zu denen der jetzt bis auf den Knochen abgenagte Lammschlegel, unzählige aufgerissene Schachteln und Zellophanbeutel sowie weggeworfenes Obst und Gemüse gehörten. Dahinter folgte eine Sechsergruppe, deren Flügelmänner die Gehsteige benutzten. Obwohl sie sich nicht ansahen, marschierten sie so exakt im Gleichschritt, dass sie einen Augenblick lang wie ein einziger Mann erschienen, als sie an McCourts Haus vorbeikamen, und Clay erkannte, dass sie sogar die Arme im Gleichtakt schwangen. Dann kam ein Junge von ungefähr vierzehn Jahren, der stark hinkte, unverständliche Muhlaute ausstieß und mit ihnen Schritt zu halten versuchte.
    »Sie haben die Toten und die völlig Bewusstlosen zurückgelassen«, sagte McCourt, »aber einigen, die sich bewegt haben, haben sie sogar geholfen.«
    Clay hielt Ausschau nach der Schwangeren, konnte sie aber nirgends entdecken. »Mrs. Scottoni?«
    »Sie hat zu denen gehört, denen sie geholfen haben«, sagte McCourt.
    »Sie benehmen sich also wieder wie Menschen.«
    »Von wegen«, sagte Alice. »Einer der Männer, dem sie zu helfen versucht haben, konnte nicht gehen, und nachdem er ein paarmal gestürzt ist, hat einer der Kerle, die ihm aufgeholfen haben, keine Lust mehr gehabt, den Pfadfinder zu spielen, und hat ihn einfach .«
    »Umgebracht«, sagte McCourt. »Aber nicht etwa mit den Händen wie der Kerl in meinem Garten. Mit den Zähnen. Hat ihm die Kehle durchgebissen.«
    »Ich hab geahnt, was passieren würde, und weggesehen«, sagte Alice, »aber ich hab's gehört. Er hat ... gequiekt.«
    »Ruhig«, sagte Clay. Er drückte sanft ihren Arm. »Ganz ruhig.«
    Inzwischen war die Straße fast völlig leer. Zwei weitere Nachzügler kamen vorbei, und obwohl sie mehr oder weniger Seite an Seite marschierten, humpelten beide so stark, dass sie nicht zusammengehörig wirkten.
    »Wohin gehen die alle?«, fragte Clay.
    »Irgendwo rein, glaubt Alice«, sagte McCourt. Er klang aufgeregt. »Bevor es

Weitere Kostenlose Bücher