Puls
schneller noch langsamer. Clay wartete auf den nächsten Schuss. Stattdessen war ein Schrei zu hören, sehr kurz, augenblicklich wieder verstummend, wie wenn er abgeschnitten worden wäre.
Die drei knapp außerhalb der Veranda im Schatten Stehenden beobachteten weiter, ohne miteinander zu sprechen. Alle Vorbeikommenden waren nach Osten unterwegs, und obwohl sie keine eigentliche Marschformation bildeten, war ihr Zug unverkennbar geordnet. In Clays Augen drückte sich das am besten nicht etwa im Anblick der Handy-Verrückten selbst, die oft humpelten und manchmal watschelten, die schnatterten und eigenartig gestikulierten, sondern in dem stummen, geordneten Vorbeiziehen ihrer Schatten auf dem Asphalt aus. Sie ließen ihn an alte Wochenschauen aus dem Zweiten Weltkrieg denken, in denen eine Welle von Bombern nach der anderen über den Himmel zog. Er zählte zweihundertfünfzig Personen, bevor er aufgab. Männer, Frauen, Jugendliche. Auch ziemlich viele Kinder in Johnnys Alter. Weit mehr Kinder als alte Leute, obwohl er nur wenige unter zehn Jahren sah. Er mochte sich nicht vorstellen, was den kleinen Jungs und Mädels zugestoßen sein musste, die nach dem Auftreten des Pulses niemanden mehr gehabt hatten, der sich um sie kümmerte.
Oder den kleinen Jungs und Mädels, die sich in der Obhut von Handybesitzern befunden hatten.
Was die nun mit leerem Blick an ihm vorbeiziehenden Kinder betraf, fragte Clay sich, wie viele von ihnen vergangenes Jahr ihren Eltern wohl wegen eines Handys mit speziellen Klingeltönen in den Ohren gelegen hatten, so wie es Johnny getan hatte.
»Ein gemeinsamer Verstand«, sagte McCourt. »Glaubt ihr das wirklich?«
»Ich irgendwie schon«, sagte Alice. »Weil ... also ... wie viel Verstand haben sie schon einzeln?«
»Sie hat Recht«, sagte Clay.
Der Vogelzug (sobald man ihn einmal so gesehen hatte, war es schwierig, sich etwas anderes vorzustellen) wurde spärlicher, ohne jedoch abzureißen, selbst nach einer halben Stunde nicht. Gerade kamen drei Männer vorbei, die nebeneinander hergingen -einer in einem Bowlinghemd, einer in den Überresten eines Anzugs, einer mit einer dicken Schicht aus angetrocknetem Blut, die seine untere Gesichtshälfte größtenteils verdeckte -, dann zwei Männer und eine Frau, die eine schlampige Karnevalspolonäse bildeten, und danach eine Frau Mitte vierzig, die wie eine Bibliothekarin aussah (das heißt, wenn man die eine nackte Brust ignorierte, die im Wind wippte) und mit einem halbwüchsigen schlaksigen Mädchen, vielleicht einer Bibliothekshelferin, ein Tandem bildete. Nach kurzer Pause folgten ein Dutzend Männer, die sich zu einem innen leeren Quadrat formiert hatten, das an eine Kampfformation aus den Napoleonischen Kriegen erinnerte. Und aus der Ferne konnte Clay nun kriegsähnliche Geräusche hören: ein meist sporadisches Rattern von Gewehr- oder Pistolenfeuer, aber einmal auch (und näher, vielleicht aus dem benachbarten Medford oder sogar aus Malden selbst) das lange hämmernde Stakkato einer großkalibrigen Maschinenwaffe. Und auch wieder Schreie. Die meisten kamen aus weiter Ferne, aber Clay glaubte zu wissen, was sie bedeuteten.
Hier in der Umgebung gab es noch weitere nicht verrückte Leute, jede Menge davon, und einigen war es gelungen, Waffen in die Hände zu bekommen. Diese Leute machten jetzt vermutlich Jagd auf Handy-Verrückte. Andere hatten jedoch nicht das Glück gehabt, in Häusern zu sein, als die Sonne aufgegangen war und die Verrückten herausgekommen waren. Er musste daran denken, wie George der Mechaniker mit seinen orangeroten Händen den Kopf des alten Mannes gepackt hatte, dachte an den kurzen Ruck und an das Knacken, nach dem die kleine Lesebrille zwischen die Roten Bete geflogen war, wo sie nun liegen bleiben würde. Und liegen bleiben. Und liegen bleiben.
»Ich glaube, ich möchte ins Wohnzimmer gehen und mich hinsetzen«, sagte Alice. »Ich will sie nicht mehr sehen. Oder hören. Mir wird schlecht davon.«
»Klar«, sagte Clay. »Tom, wollen Sie nicht mit ihr ...?«
»Nein«, sagte McCourt. »Gehen Sie mit ihr rein. Ich bleibe vorerst hier und beobachte sie. Ich finde, einer von uns sollte sie beobachten, oder nicht?«
Clay nickte. Das fand er auch.
»In ungefähr einer Stunde können Sie mich dann ablösen. Wir wechseln uns ab.«
»Okay. Abgemacht.«
Als sie auf dem Flur weggehen wollten - Clay mit einem Arm um Alice' Schultern -, sagte McCourt: »Noch etwas.«
Sie drehten sich zu ihm um.
»Ich glaube, wir
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