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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Davon war er überzeugt.
    Ihre Tochter jedoch hatte eine bekommen. O ja. Und Heidi hatte ihre Mutter angefallen. Hatte Beth Nickerson versucht, vernünftig mit ihrer Tochter zu reden, bevor sie Heidi mit dem Nudelholz niedergestreckt hatte, oder hatte sie ohne Umschweife zugeschlagen? Nicht aus Hass, sondern aus Schmerz und Angst? Jedenfalls hatte dieser Schlag nicht genügt. Und Beth trug keine Hose. Sie trug ein Trägerkleid, und ihre Beine waren nackt.
    Clay zog den Rock des Trägerkleids herunter. Er zog ihn ganz sanft herunter und bedeckte den einfachen Baumwollslip, einer ohne Spitzenbesatz, den sie zuletzt noch beschmutzt hatte.
    Heidi, bestimmt nicht älter als vierzehn, wahrscheinlich sogar erst zwölf, musste in der wilden Nonsenssprache geknurrt haben, die sie alle schlagartig zu beherrschen schienen, sobald sie eine volle Dosis Vernunft-G-Fort aus ihren Handys bekommen hatten: Worte wie Räst und Eeelah und Kazzalah-CAN! Der erste Schlag mit dem Nudelholz hatte sie niedergestreckt, aber nicht k.o. gehen lassen, und das verrückt gewordene Mädchen hatte sich über die Beine ihrer Mutter hergemacht. Nicht etwa oberflächlich daran knabbernd, sondern mit tiefen, reißenden Bissen, von denen einige bis auf den Knochen gegangen waren. Clay konnte nicht nur Zahnspuren, sondern auch schemenhafte Tätowierungen sehen, die von Heidis Zahnspange stammen mussten. Und so hatte Beth Nickerson - bestimmt kreischend, zweifellos grässliche Schmerzen leidend, vermutlich ohne recht zu wissen, was sie tat - erneut zugeschlagen, dieses Mal um einiges fester. Clay war fast, als hörte er das gedämpfte Knacken, mit dem das Genick des Mädchens brach. Die geliebte Tochter, tot auf dem Fußboden der hochmodernen Küche, mit einer Spange an den Zähnen und ihrem hochmodernen Handy in der Nähe der ausgestreckten Hand.
    Und hatte ihre Mutter eine Denkpause eingelegt, bevor sie die Waffe aus deren Halterung zwischen Fernseher und Dosenöffner gerissen hat, wo sie wer weiß wie lange darauf gewartet hatte, dass ein Einbrecher oder Sittenstrolch in dieser sauberen, gut beleuchteten Küche erschien? Das glaubte Clay weniger. Vielmehr vermutete er, dass es keine Pause gegeben hatte, weil die Mutter den Wunsch gehabt haben würde, die fliehende Seele ihrer Tochter rasch einzuholen, solange ihr die Erklärung für ihr Handeln noch frisch auf den Lippen lag.
    Clay ging zu der Waffe hinüber und hob sie auf. Von einem Waffennarren wie Arnie Nickerson hätte er eine Automatikwaffe erwartet - vielleicht sogar eine mit Laservisier -, aber hier handelte es sich um einen schlichten alten Revolver, einen .45er. Eigentlich nur vernünftig. Seiner Frau war diese Art Waffe bestimmt lieber gewesen: kein umständliches Kontrollieren, ob die Waffe geladen war, wenn man sie brauchte (auch kein Zeitverlust, weil man erst ein volles Magazin hinter den Gewürzgläsern hervorkramen musste, wenn sie's nicht war), kein Zurückziehen des Schlittens, um nachzusehen, ob eine Patrone in der Kammer war. Nein, bei dieser alten Hure brauchte man nur die Trommel rauszuklappen, was auch Clay mühelos schaffte. Für Dark Wanderer hatte er tausend Variationen genau dieses Revolvers gezeichnet. Wie erwartet war nur eine der sechs Patronen verschossen. Er schüttelte eine der anderen heraus, obwohl er bereits wusste, was er finden würde. Beth Nickersons .45er war mit höchst illegaler Copkiller-Munition geladen. Mit Geschossen, die sich beim Aufprall zerlegten. Kein Wunder, dass das ganze Schädeldach fehlte. Ein Wunder vielmehr, dass überhaupt etwas von ihrem Kopf übrig geblieben war. Er blickte auf die in der Ecke zwischen den Schränken hängende Frau hinab und fing an zu weinen.
    »Clay?« Es war Tom, der aus dem Keller heraufkam. »Mann, Ar-nie hat einfach alles! Sogar eine Schnellfeuerwaffe, deren Besitz ihm ein paar Jahre im Gefängnis Walpole eingebracht hätte, jede Wette ... Clay? Alles in Ordnung mit dir?«
    »Komme schon«, sagte Clay während er sich die Tränen abwischte. Er sicherte den Revolver und steckte ihn sich unter den Gürtel. Dann legte er sein Messer mitsamt der behelfsmäßigen Scheide auf die Arbeitsfläche in Beth Nickersons Küche. Er würde es nicht mehr brauchen. Offenbar konnten sie sich hier verbessern. »Lass mir zwei Minuten Zeit.«
    »Jo.«
    Clay hörte, wie Tom wieder die Treppe in Arnie Nickersons unterirdische Waffenkammer hinunterpolterte, und musste lächeln, obwohl ihm noch immer Tränen übers Gesicht liefen. Das war

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