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Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kind schließen, das zwei bis drei Jahre jünger sein musste als Alice. Der Kopf war stark abgewinkelt, fast wie eine Parodie einer fragenden Kopfhaltung, und die leblosen Augen traten aus den Höhlen. Das Haar war strohblond gewesen, aber auf der linken Kopfseite - auf der Seite, wo der tödliche Schlag sie getroffen hatte -, war es jetzt genauso dunkel kastanienbraun wie die Lachen auf dem Fußboden.
    Ihre Mutter kauerte unter der Arbeitsfläche rechts neben dem Herd, wo die stattlichen Kirschholzschränke zusammenstießen und eine Ecke bildeten. Ihre mit Mehl bestäubten Hände waren geisterhaft weiß, die blutigen, zerbissenen Beine unschicklich gespreizt. Bevor Clay mit der Arbeit an einem dann in begrenzter Auflage erschienenen Comic mit dem Titel Battle Hell begonnen hatte, hatte er sich aus dem Internet Fotos von Mordopfern heruntergeladen, die er vielleicht würde brauchen können. Das war ein Irrtum gewesen. Schusswunden sprachen ihre eigene, schrecklich leere Sprache, und so war es auch hier. Oberhalb des linken Auges bestand Beth Nickerson praktisch nur noch aus Blut und Gehirnmasse. Das rechte Auge war weit nach oben verdreht, so als hätte sie sterbend versucht, in den eigenen Kopf zu blicken. Haare vom Hinterkopf und ziemlich viel Gehirnmasse klebten an dem Kirsch-holzschrank, an dem sie in den kurzen Augenblicken ihres Sterbens gelehnt hatte. Ein paar Fliegen summten um sie herum.
    Clay musste würgen. Er drehte den Kopf zur Seite und hielt sich den Mund zu. Er wusste, dass er sich beherrschen musste. Alice hatte offenbar aufgehört, sich zu übergeben - er konnte sie sogar mit Tom reden hören, während die beiden nun weiter ins Haus hineingingen -, und er wollte nicht schuld daran sein, dass sie wieder anfing.
    Stell sie dir als Dummys, als Filmrequisiten vor, forderte er sich selbst auf, wenngleich er wusste, dass das niemals klappen würde.
    Als er wieder hinsah, konzentrierte er sich stattdessen auf die anderen Dinge auf dem Fußboden. Es half. Die Schusswaffe hatte er bereits gesehen. Die Küche war sehr geräumig, und die Waffe lag drüben auf der anderen Seite so zwischen dem Kühlschrank und einem anderen Schrank, dass nur ihr Lauf herausragte. Angesichts der toten Frau und des toten Mädchens hatte Clay unwillkürlich weggesehen, wobei sein Blick rein zufällig auf den Waffenlauf gefallen war.
    Aber irgendwie hätte ich wahrscheinlich auch so gewusst, dass es hier eine Waffe geben muss.
    Er sah sogar, wo sie gewesen war: in einer Wandhalterung zwischen dem Einbaufernseher und dem überdimensionierten elektrischen Dosenöffner. Sie sind nicht nur Waffennarren, sondern auch auf technische Spielereien versessen, hatte Tom gesagt, und eine in der Küche an der Wand angebrachte Schusswaffe, die nur darauf wartete, einem in die Hand zu springen . Nun, wenn das nicht ein Volltreffer war, was dann?
    »Clay?« Es war Alice. Ihre Stimme kam aus einiger Entfernung.
    »Was ist?«
    Er hörte Schritte, die eilig eine Treppe heraufkamen, dann rief Alice aus dem Wohnzimmer: »Tom hat gesagt, du willst, dass wir's dir sagen, falls wir fündig werden. Gerade eben haben wir was entdeckt. Im Hobbyraum unten im Keller sind mindestens ein Dutzend Schusswaffen. Gewehre und Pistolen. In einem Waffenschrank mit dem Aufkleber von einem Wach- und Sicherheitsdienst, sodass wir jetzt wahrscheinlich verhaftet werden ... Das war ein Scherz. Kommst du runter?«
    »Gleich, Schatz. Komm bloß nicht in die Küche.«
    »Keine Sorge. Bleib lieber du nicht noch länger drin, damit du uns nicht ausflippst.«
    Er war darüber hinweg, auszuflippen; weit darüber hinweg. Auf den blutigen Holzdielen von Beth Nickersons Küche lagen zwei weitere Gegenstände. Einer davon war ein Nudelholz, was nicht abwegig war. Auf der Kochinsel standen eine Kuchenform, eine Rührschüssel und ein fröhlich gelber Plastikbehälter mit dem Aufdruck MEHL. Das zweite Objekt auf dem Fußboden, nicht allzu weit von einer von Heidi Nickersons Händen entfernt, war ein Handy, wie es nur ein Teenager lieben konnte: blau und über und über mit großen orangeroten Gänseblümchenaufklebern bepflastert.
    Clay sah den gesamten Ablauf deutlich vor sich, so sehr ihm das auch widerstrebte. Beth Nickerson war dabei, einen Kuchen zu backen. Wusste sie, dass in Groß-Boston, in Amerika, vielleicht auf der ganzen Welt etwas Schreckliches seinen Lauf nahm? Berichtete das Fernsehen darüber? Aber selbst dann hatte das Fernsehen ihr keine Durchknallbotschaft geschickt.

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