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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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    Langsam fuhren sie an der Coca-Cola-Abfüllung vorbei, hinunter in Richtung Motzacher Weg. Als sie schließlich in der Köchlinstraße angekommen waren, fing er endlich an.
    »Irgendetwas muss sich im Leben von Ottmar Kinker geändert haben, in den letzten Wochen und Monaten. Er hat sich verändert, andere Klamotten und so. Wenn ich an diese seltsame Wohnung denke und die Umstände … also ich denke, das kann nur ein starker Einfluss von außen gewesen sein, eine Frau vielleicht, was anderes fällt mir da eigentlich nicht ein.« Er schwieg einen Moment. »Hast du was Brauchbares herausbekommen?«
    Lydia war froh, endlich mit ihrem Königswissen herausrücken zu können und war auf Schielins Reaktion gespannt.
    »Denen gehört die Hütte mit allen Wohnungen, und du wird es nicht glauben – es ist vermutlich nicht das einzige Haus in ihrem Besitz.«
    Schielin sah ungläubig zu ihr hinüber. »Wie bitte!?«
    Das tat gut. »Ottmar Kinker und seine Schwester besitzen das Sechsfamilienhaus und wohl noch weitere Immobilien«, wiederholte sie.
    »Ach, du lieber Gott. Und dann leben die derart armselig. Das ist ja eine Sünde am Dasein!«
    »Ich werde mir die Besitzverhältnisse mal vornehmen und die Sippschaft gleich dazu.« Dann fügte sie ebenso theatralisch wie Fräulein Seidl vorher hinzu: »Geiz ist ein Strang der Seel, und alles Bösen Königin!«
    Schielin äugte kurz zu ihr hinüber. Dieser Satz ging durch Mark und Bein.
    *
    Helmtraud Kinker tat das Genick weh, so lange hatte sie gebeugt am Türspion gestanden und beobachtet, vor allem gelauscht, was sich draußen im Hausgang tat. Ihre Mutter saß nach wie vor am Tisch und starrte schweigen aus dem Fenster.
    Helmtraud Kinker wusste nicht wohin, und so blieb nur das kleine Loch in der Tür und der Blick in einen menschenleeren, hallenden Hausgang. Ihr linkes Ohr pochte, und ein paar Tränen rannen über die Wange, was ihr ein fremdes Gefühl verursachte. Doch kein zu Ton gewordenes Leid drang aus ihr.
    Die blonde Polizistin war lange bei der alten Seidl von gegenüber gewesen. Viel zu lange. Es machte sie rasend, nicht zu wissen, was die Alte zu erzählen hatte. Sie hätte sie schon lange rausgeschmissen, aber Mutter war nicht damit einverstanden, ohne ihr jemals einen Grund dafür genannt zu haben. Auch das konnte sie nicht ertragen, dass sie, die sich schließlich um alles kümmerte, nicht informiert war, dass es Dinge gab, zu denen Mutter ihr keinen Zugang gewährte, sie ausschloss, wie eine Fremde außen vor ließ. Bis heute. Bis heute.
    Den Polizisten kannte sie. Sein Gespräch oben bei der Jungen mit dem Kind, ohne Mann, hatte gar nicht so lange gedauert. Dieser Polizist, er mochte sie sicher nicht. Er war ihrem Blick ein paar Mal ausgewichen und hatte Abstand gesucht.
    Er musste hier irgendwo in der Gegend wohnen. Sie hatte ihn schon öfter beim Bäcker getroffen, und er war ihr aufgefallen. Vielleicht war es sogar der Verrückte, der diesen Esel hatte, dessen Geschrei man manchmal von Motzach oben her hören konnte. Irgendwo hatte sie mal ein Gespräch aufgeschnappt, in dem es um einen Polizisten ging, der einen Esel hatte, der krank war oder so, weil er nicht mehr schrie, oder umgekehrt. Aber das war ja jetzt auch egal – Polizisten mit Eseln; die Welt war eben verrückt geworden und kam einem selbst so nahe, dass man sich dem allen nicht mehr entziehen konnte.
    Ottmar war auch wie verrückt gewesen die letzten Wochen – und jetzt war er tot. So endete es eben bei allen. Und Mutter würde nun nicht mehr die Wahl haben, keine Option mehr, keine Ausflucht. Trotz der kümmerlichen Freude über die Folgen der Situation hatte sie Angst, zurück ins Wohnzimmer zu gehen, und Angst vor den Fragen. Als sie es schließlich doch tat, traf sie statt eines Blickes eine strenge, klare Stimme. »Hast du die Briefe gefunden?!«
    Helmtraud Kinkers Unterkiefer zitterte leicht. »Nein. In der ganzen Wohnung nicht.«
    Ihre Mutter stand auf, würdigte ihre Tochter keines Blickes und sagte, während sie das Zimmer verließ, mit einem düsteren Zweiklang: »Ich hätte ihn öffnen sollen, den letzten. Er hat es sicher getan. Egal jetzt. Und du? Was ist mit dir!? Du gehst doch nie weg, nie! Wozu auch. Aber wo warst du eigentlich gestern? Das Geld hast du ihm doch schon letzte Woche gebracht.«
    Helmtraud Kinker sagte kein Wort.
    *
    Fräulein Seidl war in ihr Musikzimmer gegangen, nachdem sie Lydia Naber sehr förmlich an der Tür verabschiedet

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