Pulverturm
legten nahe, dass es sich um eine Verletzung handeln musste, die von einem Schlag herrührte. Die parallel durchgeführten toxikologischen Untersuchungen ergaben, dass Ottmar Kinker weder Alkohol noch Drogen konsumiert hatte. Medikamente waren ebenso wenig nachweisbar.
Aufgrund der Temperaturbestimmungen, die am Tatort vorgenommen worden waren, legte Schapelski die Todeszeit zwischen neunzehn und zweiundzwanzig Uhr fest.
Genauer ging es leider nicht. Die tödliche Verletzung war Ottmar Kinker mit einem sehr dünnen und scharfen Messer beigebracht worden. Der Einstich war nur elf Millimeter breit, die Einstichtiefe konnte aber auf einer Länge von knapp zwölf Zentimetern nachgewiesen werden. An beiden Seiten des Stichkanals war das Gewebe zerschnitten.
Auch die Kleidung, die von dem Messer durchdrungen wurde, wies keine Faserrisse auf, sondern war exakt zerschnitten. Es handelte sich also um ein sehr scharfes, beidseitig geschliffenes Stichinstrument, dessen Verhältnis von Länge zu Klingenbreite auf ein Stilett hinwies. Mit Sicherheit aber handelte es sich um etwas Verbotenes, das man nicht auf dem freien Markt zu kaufen bekam.
Der Stichkanal verlief in einem Winkel von vierzig Grad vom Rippenbogen nach oben. Die Messerspitze hatte die Herzkammer durchdrungen. Ottmar Kinker musste sofort tot gewesen sein.
Schapelski lief nachdenklich um den silbernen Tisch herum und hantierte eigentümlich mit einem Skalpell. Es sah ungelenk aus. Dann nickte er sich selbst zu.
»Der Täter war Rechtshänder, und ich vermute, er war ein wenig kleiner als sein Opfer. Wären sie gleich groß gewesen, würde der Stichkanal direkt unter dem Rippenbogen seinen Anfang nehmen.«
»Es ist auf einer Treppe passiert«, sagte Schielin.
»Das mag schon sein, aber die Tat selbst fand auf einer Ebene statt. Das Opfer ist die Stufen hinuntergestürzt, wie aus den Verletzungen gut ersichtlich ist. Das Tatgeschehen selbst muss aber hinsichtlich der Standorte von Täter und Opfer auf einer Ebene stattgefunden haben.«
Schapelski ging einen Schritt auf Schielin zu. »Da haben Sie es mit einem ganz üblen Burschen zu tun, mein lieber Schielin.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Schneide des Tatwerkzeugss ist zwar nur elf Millimeter breit. Es ist aber so, dass sie in zwei Ebenen um vierzig Grad gedreht in den Leib eingedrungen ist. Einmal in der vertikalen Stichrichtung von unten nach oben, und dann verdreht in der horizontalen.«
Schielin versuchte zu verstehen, was der Professor damit sagen wollte. Der erlöste ihn aber sogleich.
»Der Täter hat das von hinten erledigt, mein Lieber. Er ist von hinten an sein Opfer herangetreten und hat das Messer von vorne geführt. Die Messerspitze verließ die führende Faust in Richtung Daumen und nicht in Richtung des kleinen Fingers. Sehr professionell.«
»Oh.«
»Ja. Oh. So etwas passiert nicht im Affekt. Das muss man können.«
»Allerdings«, stimmte Schielin zu und versuchte sich vorzustellen, was da auf der Treppe am Pulverturm passiert ist. »Das bedeutet aber auch …«
Schapelski unterbrach ihn: »… dass wir sehr genau nach Faseranhaftungen und DNS-Spuren suchen werden, aber natürlich, Herr Schielin. So professionell er das auch gemacht hat, rein spurentechnisch ist das eine Tötungsmethode, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Es fehlt die Distanz. Eine sozusagen sehr persönliche Art und Weise, das zu tun. Nun ja, auf alle Fälle wäre es sehr unwahrscheinlich, wenn wir keine Spuren vom Täter finden. Wir werden sehen.«
Schapelski war jetzt ganz ruhig und ganz bei sich. Er lächelte Schielin an und fragte: »Wie geht es eigentlich dem werten Esel. Das mit dem Schreien, besser gesagt, dem Nicht-Schreien, hat sich ja wieder gelegt, wie ich gehört habe. Stimmt doch, oder?«
Schielin winkte ab. »Sicher. Aber das ist doch schon ewig her, Herr Professor.«
»Na ja. Sie haben nun auch – Gott sei Dank – nicht so häufig einen Grund, hierherzukommen.«
Mit neuen Informationen und der Frage, warum die Gemütslage seines Esels Ronsard ein Thema in der Rechtsmedizin von Memmingen ist, fuhr Schielin wieder nach Süden. Hinter Wangen verließ er die Autobahn und nahm die Bundesstraße zweiunddreißig über Amtzell und Grünkraut nach Ravensburg. Während er den sanften Schwüngen über bewaldete Hügelketten hinweg und vorbei an Weihern und Bauernhöfen folgte, telefonierte er mit der Kripo in Ravensburg. Er war immerhin in einem anderen Bundesland unterwegs, und die Kollegen
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