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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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anderen Räume. Der Tür gegenüber ließ ein breites Fenster genügend Licht ein. Seitlich zum Fenster befand sich ein aufgeräumter Schreibtisch – solide Standardware in hellgrau. An der Wand gegenüber standen Aktenregale und breite Schränke. Zwei Rollcontainer gab es auch noch. Auf den ersten Blick ein nüchternes Büro, in welchem ein äußerst ordentlicher Mensch seine Arbeit verrichtete. Alles hatte seinen Platz, es lagen keine offenen Akten oder Schreiben herum, keine gelben Post-its klebten am Bildschirm oder sonst wo. Der Papierkorb war leer. An den freien Flächen der Wände kein Fotokalender. Nicht einmal einer mit unschuldigen Landschaftsaufnahmen. Es war das reinliche Büro eines ordentlichen, vielleicht pedantischen Angestellten.
    Und doch gab es etwas, das völlig außergewöhnlich war, den Gesamteindruck störte und Schielin sofort irritierte. Der ganze Raum war nüchtern und funktional auf die darin zu verrichtende Tätigkeit ausgerichtet. Doch auf dem Schreibtisch von Ottmar Kinker stand rechts hinten ein silberner Fotorahmen, wie es sie wohl überall auf Schreibtischen gibt. In dem Rahmen steckte ein Foto. Es war farbstichig und unscharf, und die Farben wiesen auf eine Reproduktionstechnik hin, die nicht in Mitteleuropa angewandt wurde. Es war eine Frau zu erkennen, die in einer Wiese stand. Ihre Hände fassten sanft ein Mädchen bei den Schultern, das sich an ihre Beine lehnte. Beide sahen etwas skeptisch, aber fröhlich in die Kamera.
    Nichts wirklich Persönliches hatten sie bisher über Kinker erfahren und ermitteln können. Sie hatten es mit einem Menschen zu tun, dessen Leben fern von sozialen Kontakten stattfand, als würde er sein Leben einfach nur geschehen lassen. Und da passte das ehrliche Gefühl dieser warmen Frauenaugen, die so offen aus dem Bilderrahmen blickten, nicht hinein. Wer war dieser Ottmar Kinker wirklich gewesen, und was hatte es mit der Frau und dem Kind auf sich?
    Dr. Schlorber hatte die Türe geschlossen und auf dem einzigen Besucherstuhl, der hinter dem Schreibtisch stand, Platz genommen.
    Schielin verzichtete auf Geplänkel. »Frau Dr. Schlorber. Alles was ich von Ottmar Kinker weiß, über ihn, sein Leben, seine Kontakte, besser gesagt, über seine nicht vorhandenen Beziehungen zu seiner Umwelt, also, so wie er lebte, wie er sich kleidete – all das sagt mir, dass er eigentlich in ein solches Immobilienunternehmen wie Aureum nicht passte, oder täusche ich mich da?«
    Sie ging auf seine Frage nicht ein, fragte stattdessen leise: »Wie ist er denn gestorben?«
    »Jemand hat ihn erstochen. Am Pulverturm in Lindau.«
    »Mhm.«
    »Welche Aufgaben hatte Herr Kinker denn hier, und wie kam er in diese Firma?«
    Sie sah auf. »Herr Kinker gehört nicht zu Aureum-Immobilien. Das ist eine etwas komplexe Angelegenheit, und ich weiß nicht so recht, wie ich Ihnen das erklären soll.«
    »Versuchen Sie es ganz einfach.«
    »Die Aureum-Immobilien ist eine Gesellschaft, die ausschließlich Grundstücke und Liegenschaften der Bundesbahn vermittelt und verwaltet. Wir sind aber eine eigenständig Gesellschaft und gehören nicht zum Firmenkomplex Deutsche Bahn AG. Herr Kinker hingegen ist Beschäftigter des Bahnvermögensamtes. Er ist in der Außenstelle Kempten als Revisor beschäftigt und hatte seit einiger Zeit die Aufgabe, die von uns projektierten Unternehmungen zu prüfen. Dazu hatte er hier sein Büro.«
    »Das ist aber eigenartig, oder?«
    »Nein, überhaupt nicht. Es hängt vielmehr mit den etwas komplexen und verwirrenden Zuständen zusammen, die vor der endgültigen Privatisierung der Bahn herrschen. Die Anwesenheit von Herrn Kinker hier vereinfacht die Arbeit, es geht schneller, und man erspart sich den Transfer von Akten und Informationen. Er war seit einem Jahr bei uns und wäre in drei Monaten fertig gewesen. Da hätte sein Abschlussbericht vorgelegen.«
    »Er war also schon so etwas wie ein Fremdkörper hier in diesem doch sehr noblen Ambiente, oder?«
    Sie nickte stumm und nachdenklich.
    »Gab es denn irgendwelche Schwierigkeiten mit seiner Arbeit?«
    »Nein. Nein. Jedenfalls ist mir davon nichts bekannt.«
    »Welche Funktion haben Sie hier?«
    »Ich bin Geschäftsführerin, zusammen mit Dr. Böhle.«
    Schielin überlegte kurz. Dann sagte er: »Ich müsste mich hier etwas genauer umsehen. Vor allem geht es um persönliche Dinge von Herrn Kinker, verstehen Sie?«
    »Ja. Tun Sie das. Sie können sich hier gerne umtun. Von unserer Seite bestehen da keine

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