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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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wollte. Funk fiel ihm ein, der einmal gesagt hatte, dass es so viele verzweifelte Menschen gäbe, und auf Schielins Rückfrage geantwortet hatte, dass ihm zunehmend diese unerträglich grellen und mutierten Brillengestelle auffallen würden, die in für ihn unangenehmer Weise den Blick auf sich und von der Person ablenkten.
    Für viele Frauen, denen das Schicksal Töchter geschenkt hatte, war Dr. Böhle sicher der Traum von einem Schwiegersohn. Schielin krümmte sich innerlich bei dem Gedanken, dass Lena oder Laura eines Tages mit so einem Schlunz daherkämen.
    Der nette Bub von neulich, der sich hinter einigen Kettchen und grell roten Strähnen in den langen braunen Haaren versteckte, und der ihm mit Laura in der Fischergasse über dem Weg gelaufen war – so dumm ging es manchmal daher – wäre ihm da wirklich lieber. Schielin verdrängte die Gedanken an zukünftige Schwiegersöhne und Funks Brillenbeobachtungen. Dieser Dr. Böhle, der ihm da gegenübersaß, war ihm unsympathisch. Zumal, als er auf seinen Gruß hin sitzen blieb und nur huldvoll nickte. Kurz danach vernahm Schielin eine Fistelstimme, die feststellte »Wie ich hörte, sind Sie von der Polizei.«
    Schielin konnte sich den Ansatz eines arroganten Grinsens nicht verkneifen. Jetzt war er es, der nur nickte, einige Sekunden wartete und ein kühles »Ja« entgegnete. Der Beginn war nicht gut.
    »Und was führt Sie zu uns?«, krähte Dr. Böhle.
    Schielin beschloss, die Sache etwas umständlicher anzugehen. Er deutete einen Blick zum Gang hin an und fragte: »Wo befindet sich hier das Büro von Herrn Ottmar Kinker?«
    Dr. Böhle stutzte. »Ah. Weshalb fragen Sie danach?«
    »Sie sind also noch nicht informiert?«, sagte Schielin ernst und sah Dr. Böhle dabei noch ernster an. Der musste schlucken, bevor er ein fragendes »Nein« herausbrachte.
    Schielin ließ ihn warten. Dr. Böhle war anzusehen, wie unangenehm ihm die Situation war. Das bisschen Getue hatte die aufgesetzte Ruhe hinweggefegt. Er hielt es selbst für diese knappe halbe Minute nicht aus, einfach ruhig sitzen zu bleiben. Nein, er veränderte seine Sitzposition und führte etwas zu theatralisch seine Hand zum Kinn. Beides Zeichen für Unsicherheit.
    »Herr Kinker ist ermordet worden«, sagte Schielin schlicht und fixierte Dr. Böhle.
    Der zeigte keine Reaktion. Es war, als fröre er ein, doch es war keine Starre, die ihren Grund im Erschrecken über die Nachricht hatte. Dr. Böhle sah zu Schielin und – überlegte. Während er das tat, ging die Tür hinter Schielin auf und er hörte eine Frauenstimme etwas burschikos sagen: »Wie ich höre haben wir die Polizei im Hause.«
    »Kinker ist ermordet worden«, kam es schnell, trocken und sachlich von Dr. Böhle, der bösartig hinzufügte, »deswegen ist er diese Woche also nicht aufgetaucht.«
    Schielin ignorierte den Kerl, der soeben in die Schublade arroganter Kotzbrocken eingeordnet worden war, und drehte sich um. Er gewahrte eine Frau, deren Alter und Konfektionsgröße sich im Bereich um die vierzig bewegten. Sie hatte dunkle, glatte Haare, trug ein cremefarbenes Kostüm und war von dem, was Böhle soeben von sich gegeben hatte, sichtlich schockiert.
    Nach einer Weile reichte sie, immer noch blass, Schielin die Hand und stellte sich als Dr. Christiane Schlorber vor. Schielin wiederholte seine Frage nach Ottmar Kinkers Büro, und sie war es, die ihn hinbrachte. Dr. Böhle blieb scheinbar unberührt hinter seinem Felsen hocken.
    Ottmar Kinkers Büro befand sich nicht hinter einer der dunklen Holztüren, sondern man gelangte dahin, indem man einen kurzen Abzweig hinter dem Glasschreibtisch im Empfang nahm.
    Schielin brachte die Dinge, denen er sich gegenübersah, nicht zusammen. Alles hier – die Räume, die Ausstattung, die Menschen – passte so wenig zu dem, was Schielin von Ottmar Kinker und seinem Leben bisher wusste, dass es extremer nicht mehr hätte sein können. Welche Wahrnehmung hatte Ottmar Kinker von seinem Leben, und in welch unterschiedlichen Welten bewegte er sich? Vielleicht konnte diese Dr. Schlorber ja weiterhelfen, denn ihr Erschrecken war ehrlich gewesen. Sie stockte ein-, zweimal, als sie den Gang entlangging, so als wollte sie stehen bleiben und für sich selbst überprüfen, dass das, was sie gerade erfahren hatte, auch der Wirklichkeit entsprach.
    Ottmar Kinkers Büro war abgeschlossen, und sie musste den Schlüssel aus einem gesicherten Stahlfach holen. Das Büro hatte nichts von der teuren Eleganz der

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