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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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dort sollten schließlich über seine Anwesenheit Bescheid wissen. Fast hätte er es vergessen, denn der Wechsel hinüber nach Württemberg war so selbstverständlich und an sich nichts Außergewöhnliches. Sein Weg führte vorbei an einsamen Dörfern, entlegenen Einödhöfen und durch eine derart friedvolle, romantische Landschaft, dass einem das Gefühl erwuchs, hier sicher und frei von Nöten, Sorgen und Problemen leben zu können. Ihm fiel ein Lied von Bette Middler ein, in welchem es lautete: from a distance, there is harmony. So war es sicher auch hier. Aus der Ferne betrachtet herrschte Frieden und Harmonie. Man musste nur die Distanz aufrechterhalten.
    Die Büros der Aureum-Immobilien befanden sich mitten in der Altstadt, in einem noblen, wunderbar renovierten Bürgerhaus in der Bachstraße. Von hier war es zu Fuß gar nicht weit, über den Marienplatz hinweg, zum Gänsbühl, wo Ottmar Kinker die Kaffeemaschine gekauft hatte. Diese Anschaffung konnte sich Schielin immer noch nicht erklären. Bevor er die Klingel der Aureum-Immobilien betätigte, studierte er die anderen Namens- und Firmenschilder. Neben der Aureum waren noch ein Anwaltsbüro, ein Physiotherapeut und eine Energieberatung in dem Gebäude untergebracht. Zwei Namensschilder, zu denen es kein passendes, schlicht und edel glänzendes Metallschild gab, ordnete Schielin privaten Adressen zu. Nachdem er zweimal kurz hintereinander geklingelt hatte, tönte eine tiefe Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Es dauerte einige Sekunden bis der Türöffner summte, nachdem Schielin sich kurz vorgestellt hatte, was wohl erwartet worden war. Nur mit der Nennung seines Namens allein hätte er keinen Einlass gefunden.

    Das Treppenhaus war licht, es roch nach frischem Firnis und lebendigem Holz. Eine breite Treppe führte nach oben. Die Schilder, die zum Aufzug wiesen, ignorierte Schielin. Bis in den zweiten Stock würde er es noch schaffen.
    Waren Fassade, Eingang und das Treppenhaus noch in zurückhaltender Bürgerlichkeit gehalten, änderte sich das, als eine überaus elegant gekleidete Frau die Tür zu den Aureum-Immobilien öffnete. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug mit feinen grauen Streifen. Im gebräunten Dekolleté schwang sanft eine Perlenkette. Sie hatte rote, lockige Haare, intensive grüne Augen und stellte sich freundlich distanziert als Frau Präg vor.
    Schielin folgte ihr in einen überaus gediegenen Empfangsraum. Ein wohlgeordneter Glasschreibtisch vermittelte die entsprechende Kühle. Auf dem Dielenboden sorgten tiefrote Läufer und Teppiche für die erforderliche Dämpfung. Ein langer Gang, zu dessen Seiten hin Türen zu den einzelnen Büros abzweigten, führte quer durch das Stockwerk und endete an einer Milchglastür. Die einzige, die etwas natürliches Licht einließ, denn die Türen zu den seitlich abzweigenden Büros waren aus massivem Holz in unterschiedlichen Tönungen gefertigt und geschlossen. Die Wände waren in verwaschenem Ocker und pastelligem Mint gehalten, was eine mediterrane Stimmung vermitteln sollte. Moderne Grafiken wurden von der Halogenkette an der Decke bleckend in Szene gesetzt. Auf den ersten Blick alles sehr schick und sicherlich ungemein teuer – aber auf den zweiten Blick nicht stimmig. Es herrschte keine Klarheit. Wer immer für das Interieur verantwortlich war – er oder sie hatte sich nicht entscheiden können zwischen offensiver Modernität und traditioneller Bürgerlichkeit, und die denkbar schlechteste Kombination beider Richtungen zueinandergebracht.

    Frau Präg mit der Perlenkette klopfte an die Glastür, öffnete diese daraufhin vorsichtig und streckte ihren Kopf vor, sodass sie in das Zimmer sehen konnte, Schielin hingegen nicht. Das ärgerte ihn. Offensichtlich erhielt sie ein Okay, denn sie trat zur Seite, öffnete die Tür vollständig – für Schielin das Zeichen, eintreten zu dürfen, was er auch tat. Während er an ihr vorbeiging, sagte sie halblaut und interpretationsfrei: »Dr. Böhle.«
    Hinter einem Schreibtisch aus Stein, es konnte Marmor sein, saß Dr. Böhle, ein schlanker, fast schlaksiger Enddreißiger, mit extrem kurzen Haaren, die vom Gel seitlich des kantigen Kopfes eng an den Schädel gedrückt wurden, an dessen Oberseite hingegen, starr wie ein Igelpelz abstanden. Er hatte beide Hände auf dem Monsterschreibtisch liegen und lächelte Schielin entgegen.
    Der war von dem leuchtend roten Kunststoffbrillengestell etwas irritiert, weil das so gar nicht zu dem edlen, grauen Anzug passen

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