Pulverturm
Sicher ist, dass es zwischen ihm und den beiden zu einem Bruch gekommen sein muss. Diese Bekanntschaft und Heirat mit Yulia Kavan hat die Dinge, hat sein Leben verändert. Hast du eigentlich schon mit diesem Notar gesprochen?«
»Ja. Dr. Beer aus Wangen. Der war völlig entsetzt. Er kannte Kinker schon viele Jahre. Das ist so weit in Ordnung.«
»Bin mal gespannt, wie Frau Kavan reagieren wird.«
»Ich habe die Daten dieser Yulia Kavan übrigens schon zur Fahndung rausgegeben. Das kann ja nie schaden. Und noch was. Ich habe die Kontoauszüge durchgesehen. Ein völlig unvertrautes Bild war das – so viel Haben. Die Mieten plätschern da wie ein warmer Wasserfall herein. Was mich wundert: Es gibt eine hohe Barauszahlung an jedem Monatsende von zweitausend Euro, neben normalen Abhebungen, immer so ein paar hundert Euro. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was die mit dem Geld, also den zweitausend Euros gemacht haben.«
Schielin sah sie nachdenklich an. Auch er hatte keine Antwort auf die Frage.
*
Es dauerte eine Weile, bis im Gang draußen endlich Ruhe einkehrte. Als Schielin sich in Richtung Besprechungsraum aufmachte, war von Kartons und sonstiger Verpackung nichts mehr zu sehen. An der Stelle im Gang aber, an welcher bislang ein wackeliger Aktenbock gestanden hatte, verstrahlte ein Hightech-Monster in samtgrau digitale Eleganz. Gommert stand davor und las in einer Bedienungsanleitung. Als Schielin an der neuen Kiste vorbeiging, hörte er ihn leise das wiederholen, was er gerade las.
Im Besprechungsraum kümmerte sich Adolf Wenzel derweil um den Kaffee. Das neue technische Wunderwerk draußen im Gang und die andächtige Auseinandersetzung Gommerts mit seiner Indienstsetzung entfaltete seine Wirkung auf der gesamten Dienststelle. Selbst Wenzel, dessen Stil als eher robust zu bezeichnen war, bemühte sich, nicht herumzuscheppern. Es wurde still.
Einige Zeit später saßen alle beisammen. Schielin und Lydia berichteten über den Stand der Ermittlungen. Robert Funk führte auf einem Notebook die entscheidenden Ausschnitte der DVD vor. Ausdrucke gingen reihum, die Josef Pawlicek gestochen scharf zeigten. Schielin berichtete von seinem Besuch in Bregenz, und Lydia fasste zusammen, was sich aus dem Inhalt des Testaments und den beiliegenden Dokumenten ergeben konnte. Die Originale hingen unten im Keller, waren mit Ninhydrin besprüht, und in Kürze sollten die auf dem Papier hinterlassenen Fingerabdrücke sichtbar werden und Auskunft darüber geben, ob noch andere Personen außer Ottmar Kinker die Dokumente in der Hand gehalten hatten.
Schielin erläuterte in kurzen Worten, dass die bisherigen Erkenntnisse in recht eindeutiger Weise auf eine Verbindung zwischen Ottmar Kinker und diesem Josef Pawlicek hinwiesen. Allerdings war davon auszugehen, dass die beiden sich nicht persönlich kannten, denn den Überwachungsaufnahmen war zu entnehmen, dass Ottmar Kinker diesen Pawlicek zwar im Blickfeld hatte, seine Reaktionen aber nahelegten, dass die beiden sich unbekannt waren. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Zusammentreffen der beiden und dem Todeszeitpunkt begründete zumindest einen Anfangsverdacht gegen Pawlicek.
Überraschend war für ihn die Existenz des Testaments und vor allem dessen Inhalt. Niemand in Ottmar Kinkers Umfeld wusste bisher etwas von dieser ukrainischen Frau namens Yulia Kavan. Es konnte auch noch nicht lange her sein, dass die beiden sich kennengelernt hatten, denn eine solche Beziehung lässt sich nicht über längere Zeit geheim halten. In besonderem Licht standen daher die zeitliche Nähe von Heirat, Adoption, Abfassung des Testaments und der unmittelbar darauf folgenden Ermordung Ottmar Kinkers.
Keiner seiner Kollegen hatte seinen Ausführungen Einwände entgegenzubringen. Conrad Schielin ging nochmals auf die Erkenntnisse ein, die er bei dem Besuch in Bregenz erhalten hatte. Demnach konnte es sein, dass Yulia Kavan, die ein eher unauffälliges und zurückgezogenes Leben in Lustenau führte, in kriminelle Machenschaften des Rotlichtmilieus aus der Linzer Gegend verstrickt war. Eine Ermittlungsanfrage der dortigen Kollegen legte das nahe.
Dass Josef Pawlicek einer der Protagonisten der Linzer Szene war, schuf eine Verbindung zwischen den beiden.
Die beachtliche kriminelle Vergangenheit von Pawlicek war besonders zu berücksichtigen. Es konnte also demnach so sein, dass Yulia Kavan sich gezielt an Ottmar Kinker, einem einsamen, aber enorm vermögenden Junggesellen herangemacht
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