Pulverturm
Weinstube. Ich denke, ihr seid im Köchlin?«
Derdes wurde etwas verlegen. »Ich gehe jetzt dreimal zum Karteln. Zweimal ins Köchlin, und die neue Runde läuft in der Weinstube. Hab ja so viel Zeit, und die anderen freuen sich, wenn was zusammen geht.«
»Mhm. Was ist denn eigentlich mit der Frau vom Kinker. Ich frage nur noch mal, weil du vorhin so komisch reagiert hast.«
»Was heißt da, ich habe komisch reagiert. Die ist komisch. Die ist ja nirgends mit hingangen … immer nur dahoim rumgehockt. Ich hab die, glaub ich wenigstens, nur drei- oder viermal so richtig gesehen. Und ihre Tochter ist ja auch so eine. Die hat ihre Lehre draußen im Büro beim Dornier gemacht. Die haben drei Kreuze geschlagen, wie die endlich fort war. Da gab’s doch nur Streit, mit der.«
»Und woher weißt du das nun wieder?«
»Von meiner Cousine die Schwägerin, deren Schwiegertochter ihr Bruder, hat einen Freund der mit ihr da gelernt hat, und so weiß ich das eben.«
Schielin verzichtete darauf, den Weg virtuell visuell nachzuvollziehen.
»Und du sagst, der Ottmar Kinker war ein lustiger Kerl, bis der Vater gestorben ist.«
»Das sag ich nicht, das war so. Aber das ist schon lange, lange her. Und jetzt liegt er unter der Erde.«
»Noch nicht«, antwortete Schielin.
Jetzt zwinkerte er mit dem Auge, stieß Derdes an und fragte: »Wie lustig und lebendig war er denn, der alte Kinker, he?«
Derdes lachte. »Na ja. Er hat sich nicht viel entgehen lassen. So schön, wie der gesungen hat. Des hat schon auch seine Wirkung gehabt.«
Schielin glaubte zu wissen, was Derdes meinte.
*
Er eilte sich, noch zur rechten Zeit den Hufschmied zu erreichen. Es dämmerte schon, als er ohne großen Respekt vor Geschwindigkeitsbeschränkungen Richtung Tettnang fuhr. Ronsard schien vom autoritären Fahrstil sehr beeindruckt zu sein, denn er machte keinerlei Zicken, als es darum ging, aus dem Anhänger zu steigen.
Erst jetzt, hier vor dem großen Stadel, dessen Schwungtore offen standen, im Licht zweier Halogenstrahler und im Wirkungsbereich der ruhigen Arbeitsweise des Hufschmieds, merkte er, wie aufgekratzt, wie unruhig und unter Druck er war. Stumm folgte er den Anweisungen des Hufschmieds, schabte die Hufe aus, kratzte zwei Steine heraus, hielt Ronsards Bein, wenn gehobelt und gefeilt wurde, und lehnte sich, wenn es möglich erschien, am warmen, schweren Körper Ronsards an. Das entspannte zusehends. Meta und Helmtraud Kinker, Überwachungsaufnahmen, Testamente und bordeauxrote Jaguare hatten nicht mehr Herrschaft über ihn, und bald war er ganz wieder er selbst.
So gestaltete sich die Rückfahrt für ihn, Ronsard und die anderen, die unterwegs waren, wesentlich gemütlicher, als es bei der Anfahrt zugegangen war. Dies blieb so, bis er Nonnenhorn hinter sich gelassen hatte und kurz davor war, Wasserburg zu passieren. Da klingelte das Handy.
Gommert war dran. Schielin erkannte ihn nicht etwa, weil Gommert sich meldete, wie man das hätte erwarten können, sondern weil er dessen aufgeregtes Schnaufen sofort identifizierte. Es musste etwas geschehen sein. Erich Gommert kam nicht dazu, es ihm zu erzählen, denn Lydia hatte sich nach einigen Schnaufern das Telefon geschnappt. Er sah die Szene vor sich.
»Wo bist du?!«, fragte sie.
»Ach. Heute nichts mehr mit Schatzi, he?«
»Sag schon.«
»Auf dem Weg nach Hause, kurz vor Wasserburg.«
»Supch. Komme direkt zur Dienststelle, wir warten dann auf dich.«
»Warum bitte!?«
»Wir haben ihn.«
»Wen?«
»Josef Pawlicek.»
»Festgenommen!?«
»Nein. Das ja eben nicht. Eine Streife von der Fahndung hat ihn bei Leutkirch entdeckt. Sie hängen dran. Er kommt die A7 aus Richtung Wangen runter und war gerade auf Höhe Maierhalden, Schwarzenbach. Ist eh gut, wenn du kommst, wir haben nämlich kein Auto.«
»Wie, kein Auto?«
»Mensch, jetzt frag nicht rum und komm!«
»Mach ich ja schon, aber ich habe den Anhänger dran, und Ronsard ist drin.«
»Ach du Schsch …!«
Auf Knopfdruck war das Adrenalin da. Schielin gab Gas. Die Ampel an der Einmündung zur Schönauer Straße war kritisch rot, doch die von links Kommenden wollten sich mit dem Gespann nicht ernsthaft anlegen. Die Friedrichshafener Straße ließ sich flott fahren, jedenfalls bis zu den Verkehrshindernissen, die den Namen Kreisverkehr trugen. Ronsard legte sich mit in die Kurve, und kurz dachte Schielin, der Anhänger eiere auf nur einem Rad durch den Kreisverkehr.
Lydia wartete bereits an der Einfahrt zur Dienststelle.
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