Pulverturm
ruhig. Innerlich wie äußerlich. Und er brauchte nicht zu überlegen. »Sie sagten doch vorhin etwas von einem Anwalt. Ich sehe mich derzeit außerstande, Ihre Fragen ohne Hinzuziehung meines Anwaltes zu beantworten. Ich möchte Sie daher bitten, mich in Kontakt mit meinem Anwalt treten zu lassen.«
Lydia Naber stand auf. »Ich kann ihn gerne anrufen …«
»Nein, nein. Bringen Sie mir doch bitte mein Handy hierher. Ich möchte nicht von einem Ihrer Telefone das Gespräch führen. Da habe ich kein Vertrauen.«
Schielin lachte bitter. »So schade, dass es kein Vertrauen mehr in der Welt gibt. Aber okay. Sie bekommen Ihr Handy.«
Sie ließen Josef Pawlicek alleine im Vernehmungsraum zurück. Akten, Aufzeichnungsgerät und Notebook waren unproblematisch mitzunehmen. Pawlicek wartete einige Sekunden, nachdem sich die Tür geschlossen hatte. Er nahm sein Handy vom Tisch und holte den Akku heraus. Die feinen Silikonfäden, die er im Gehäuseinneren angebracht hatte, waren unverletzt. Niemand hatte also manipuliert. Er zog seinen rechten Schuh aus, drückte und schob ein wenig am Absatz und zauberte aus einem kleinen, verborgenen Schlitz eine SIM-Karte hervor, die in Plastik verschweißt war. Er legte sie ein und wartete, bis das Telefonbuch zur Verfügung stand. Er hätte es nicht gebraucht, denn es waren nur zwei Telefonnummern, die angezeigt wurden, und die hätte er auch noch auswendig eingeben können.
Er drückte die Wahlbestätigung und wartete die Ruftöne ab. Er musste es achtmal klingeln lassen, bis abgenommen wurde.
*
»Bachory«, meldete sich eine männliche Stimme, in deren Unterton Beschwernis lag und die die Vokale weit geschwungen sprach. Dem sonoren Klang war jegliche Form von Strenge, Geschwindigkeit und Hektik fremd. Josef Pawlicek fühlte Wärme und Vertrauen.
»Ich bins, der Josi«, sagte er betont ruhig.
Nach einer Pause die nicht notwendig gewesen wäre, um nachzudenken, wer der Anrufer wohl war, antwortete Bachory etwas traurig. »Ach, Josi.«
Nach einer weiteren kurzen Unterbrechung, in welcher nur sein Atmen zu hören war, fuhr er fort: »Schön, dass du dich wieder einmal meldest. Habe jetzt lange nichts mehr von dir gehört. Ich weiß, ich hätte mich ja auch einmal melden können bei dir, aber es war so viel zu bedenken. Und dein Weihnachtsgeschenk … na ja, aber was soll’s, wir müssen uns wirklich einmal wieder sehen und reden. Wie geht es dir denn?«
»Lass nur. Wie geht es denn dir. Du klingst …«
»Die Hüfte. Weißt du, die Hüfte. Und so schön das Haus hier ist, mit dem großen Garten … die Treppen werden nun etwas beschwerlich. Dabei bin ich gar kein alter Mann, du weißt, aber das mit der Hüfte werde ich wohl machen lassen müssen. Habe mich lange genug dagegen gewehrt.«
»Weißt du schon wo?«
»Ja. Ich habe mich sogar schon vorgestellt bei den Herren Doktoren. Wirklich nette Leute, da in Augsburg. Es ist ja von München gar nicht weit entfernt, und die haben einen guten, sehr guten Ruf. Hessing Klinik heißt das, nur falls du mich mal besuchen kommen möchtest, aber das dauert ja nur ein paar Tage, so ein Eingriff. Die sagten mir, nach einer Woche könnte ich wieder nach Hause. Nach Hause, sagen sie, aber was wissen Fremde schon über das Zuhause von Fremden. Seit Emma gestorben ist, ist mir das Haus so fremd geworden, und wenn ich in den Garten gehe, habe ich keine Freude mehr an den Blumen. Den Buchs wirst du nicht wiedererkennen, alles verwachsen. Alles verwachsen.«
»Wann wirst du denn operiert?«
»Ach, in ein paar Wochen wird es wohl so weit sein. Ich habe halt all die Jahre über die andere Seite gesehen. All die Gutachten von verpfuschten Gallenoperationen, versägten Knochen, unbehandelt gebliebenen Krankheiten. Da leidet das Vertrauen schon drunter, mit der Zeit, und ich muss mir genau ansehen, zu welchem Arzt ich da gehe. Nicht, dass ich den schon mal vor Gericht gezerrt habe, du verstehst.«
Pawlicek saß auf dem unbequemen Holzstuhl im Vernehmungszimmer und hatte alles, was ihn umgab, ausgeblendet. Im Geiste saß er Dr. Heinrich Bachory gegenüber, am großen runden Tisch im Wohnzimmer, sah durch die breite Fensterfront hinaus in den Garten und hörte ihm zu, wie er es immer getan hatte, damals, während der Gerichtsverhandlung in langen, ermüdenden Gesprächen. Auch noch danach, als er im Zuchthaus einsaß, und dieser ihm doch eigentlich fremde Dr. Heinrich Bachory es war, der ihn immer wieder aufsuchte.
Der sagte. »Apropos Zeit. Dein
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