Pulverturm
Weihnachtsgeschenk hat mich erreicht, und mich plagt seither das Gewissen, weil ich dir noch nicht dafür gedankt habe. Aber etwas anderes liegt mir am Herzen, dir zu sagen. Es ist nicht so, dass mir diese kunstvolle Uhr nicht gefallen hätte, weißt du. Sie hat dich sicher auch unmoralisch viel Geld gekostet. Ich möchte dir nur sagen, ich trage sie nicht. Ein Mann in meinem Alter, und ich möchte hinzufügen mit meiner Erfahrung, lässt sein Leben nicht mehr von Uhren bestimmen, und Schmuck hat man als Besitzer von grauen Schläfen auch nicht mehr nötig.«
»Macht doch nichts«, entgegnete Pawlicek.
»Was sagst du, macht doch nichts, Josi«, klang es versöhnlich und doch kritisierend aus dem Handy, »es macht mir schon etwas. Du hast mir ein sehr teures Geschenk zukommen lassen, und mein Problem damit ist derart, dass ich zwar weiß, was du damit ausdrücken willst, und darüber freue ich mich sehr. Mit dieser … Rolex … diesem in Gold glänzendem mechanischen Wunderwerk habe ich aber schon ein Problem – ich kann damit nichts anfangen. Ich besitze doch schon zwei Armbanduhren, und keine von beiden lege ich mehr an. Weißt du, man braucht keine Uhr, um zu wissen, dass die Zeit vorübergeht, und im schlimmsten Fall an einem vorbeigeht.«
Pawlicek sagte erschrocken. »Was sagst du denn da!? Muss ich mir Sorgen machen?«
»Nein, verstehe mich nicht falsch. Ich weiß ja, wie sehr du solche Dinge schätzt. Wie deine schönen Automobile auch. Ich wusste nur nichts mit der Uhr anzufangen, und das tut mir leid – dir gegenüber. Und jetzt ist es gut, weil ich es dir gesagt habe. Wenn du mir eine Freude machen möchtest, dann komme mich einfach besuchen, bleibe ein paar Tage, trinke Wein mit mir, wir hören Musik … und können reden. Weißt du, es fehlt mir so, das Reden mit Menschen. Ich gehe nicht mehr unter Menschen, seit ich alleine bin. Das ist schon seltsam, oder. Man würde doch erwarten, dass man gerade dann unter Menschen ginge. Aber es ist anders. Ich fürchte mich.«
Pawlicek schwieg. Nichts täte er lieber. Er war nicht böse oder beleidigt über die Offenheit, mit der ihm Bachory gegenübertrat. Während er versonnen in den Hörer lauschte und seinen Gedanken nachhing, hörte er Heinrich Bachorys kurzes Lachen. Es hatte Kraft und hintergründigen Witz. So ganz schien er also doch noch nicht in seiner Trauerdepression versunken zu sein. »Mit deinem anderen Geschenk ist es mir übrigens ähnlich ergangen«, sagte Bachory schmunzelnd.
»Welches andere Geschenk?«
»Na, mit dem, das an meiner Tür geklingelt hat im letzten November, mir schöne Grüße von dir bestellte und sagte, sie solle sich um mich kümmern.«
»Jelena. Ach ja, genau, Jelena. Ich erinnere mich. War sie nicht gut zu dir.«
»Oh. Ganz im Gegenteil. Es war sehr schön in den Tagen, als sie hier war. Es war Leben im Haus, und sie ist eine wunderschöne, faszinierende Frau. Ich bitte dich nur. Schicke mir keine von deinen Frauen mehr. Du weißt, wie ich dazu stehe.«
»Ich dachte nur, dass du sicher einsam wärst, und Jelena ist nicht irgendeine …«
Bachory unterbrach. »Ich weiß, ich weiß. Sie ist etwas Besonderes, deine Geschäftsführerin, und so wie ich es einschätze, führt sie das Etablissement zielstrebiger und erfolgreicher als du selbst. Sei mir nicht böse.«
»Was war denn das Problem?«, fragte Pawlicek.
»Ich habe mich geschämt«, sagte Bachory ohne Emotion.
»Du musst dich doch nicht schämen, weil Jelena bei dir war. Sie schämt sich auch nicht …«
»Das meine ich nicht. Dass sie sich schämen könnte, auf diesen Gedanken wäre ich auch nicht gekommen. Wir haben, wie gesagt, angenehme Tage miteinander verbracht. Sie ist sehr frei und natürlich. Aber, ich habe in meinem Bett geschlafen und sie drüben im großen Gartenzimmer. Diese Tage … es hat ihr und mir sehr gut gefallen. Wusstest du eigentlich, dass sie Literatur- und Kunstgeschichte studiert hat, dass sie sogar promoviert hat.«
»Ich weiß, dass sie etwas gelernt hat, von dem man nicht leben kann, und dass es ihr jetzt, mit dem was sie tut, gut geht.«
»Das meine ich doch nicht. Sie ist eine sehr starke Frau und hat mit dem, was in ihrem jetzigen Beruf verlangt wird, offensichtliche keine großen Probleme. Was mich aber beschämt hat, war die Tatsache, dass es nur ein paar hundert Kilometer von uns entfernt tüchtige, intelligente Menschen gibt, denen ihre Fähigkeiten, ihr Wissen, ihre Motivation und ihre Intelligenz nicht ausreichen, um
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