Puppengrab
Ihr Schluchzen drang wie Fleischerhaken in Neils Brust. Doch das war noch nichts gegen den Anblick von Ritchie, Justin und Shawn, die auf der Veranda der Nachbarn standen, während eine Frau hinter ihnen das Baby im Arm schaukelte. Nachdem eine Krankentrage hektisch an ihnen vorbeigeschoben worden war, kamen die Jungs langsam zu ihrer Mutter gelaufen. Maggie löste sich von Neil und nahm sie in die Arme.
Neil stand auf und entfernte sich von ihnen. Ein Beamter in Uniform tauchte neben ihm auf. »Jetzt muss ich dieses Dreckschwein töten«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich muss ihn töten.«
Neil tat, was er für Maggie und die Kinder tun konnte, und das war eigentlich so gut wie nichts, außer mit Quantico telefonisch in Verbindung zu bleiben. Die Bestätigung der großen Erkenntnis des Tages ließ nicht lange auf sich warten: Margaret Chadburne existierte nicht.
Nachdem erste Unstimmigkeiten aufgetaucht waren, hatte es nicht lange gedauert, das herauszufinden. Sie war als Besucherin bei Ausstellungen und Messen registriert, die an genau den Wochenenden stattfanden, an denen sich Bankes Urlaub genommen hatte. In Dallas war es zu dem Eklat mit Kerry Waterford gekommen, und Chadburne hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu Beth aufgebaut, der sehr daran gelegen war, einen Neuling wie diese arme Witwe vor einem Falschmünzer wie Waterford zu schützen. Beth hatte während des vergangenen Jahres hin und wieder mit Chadburne gesprochen – manchmal persönlich, manchmal am Telefon. Und sie war nie dahintergekommen, dass sie sich in Wirklichkeit mit Chevy Bankes unterhielt. Sogar Neils Wege hatten sich zwei Mal mit ihm gekreuzt – in Beths Haus.
Wo er mit Rick gewesen war.
Der Schmerz schlug wie eine Flutwelle in ihm hoch, und Neil drohte, darin zu versinken. Nur rasender Zorn schaffte es, dass er sich an der Oberfläche halten konnte. Neil spürte den scharfen, sauren Geschmack förmlich auf der Zunge.
Jetzt kriege ich dich, du Drecksack.
Als Ricks Kinder um Mitternacht endlich eingeschlafen waren und Maggie von den Nachbarn umsorgt wurde, fuhr Neil zurück in die bewachte Wohnung zu Beth. Er gab dem Wachmann frei, der am Eingang postiert war, und ging hinauf. Ohne zu zögern, öffnete er Beths Schlafzimmertür, um einen Blick hineinzuwerfen. Abby und Beth waren da. Sie lagen eng umarmt beieinander. In Neils Augen sammelten sich Tränen, als er zuerst Beth und dann Abby einen Gutenachtkuss auf die Schläfe gab.
Beth wurde wach.
»Ich bin’s nur, Süße. Ich bin wieder da.« Er würde ihr erst morgen von dem Feuer erzählen. Er glaubte nicht, dass er jetzt imstande war, darüber zu sprechen.
»Ich bin froh, dass du da bist«, flüsterte sie. Sie drückte Abby noch ein wenig fester an sich. »Abby konnte es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«
»Bald.« Er hielt inne und sprach schließlich die Worte aus, die er bis jetzt nicht hatte sagen können. »Ich gehe nicht mehr weg. Ab jetzt bleibe ich bei euch.«
Als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte, schien der Boden unter seinen Füßen zu schwanken. Zum Teufel mit Beths Geheimnissen. Zum Teufel mit seinem Ego. Nichts zählte mehr. Davon hatte ihn Maggie heute Abend überzeugt. Sie hatte kein Wort gesprochen. Hatte sich nur an ihm festgehalten und ihren Verlust mit bitteren Tränen beweint. Jeder Mensch brauchte jemanden, den er im schlimmsten Fall betrauern konnte.
Neil zog beiden die Bettdecke behutsam über die Schultern und zwang sich, nach unten zu gehen. Dann stellte er sich fünfzehn Minuten lang unter der Dusche. Das heiße Wasser mischte sich mit seinen Tränen. Anschließend leerte er seine Aktentasche auf dem Couchtisch aus. Er ging die Unterlagen durch. Immer und immer wieder. Der Hinweis, den er brauchte, um Ricks Mörder zu fangen, war irgendwo hier versteckt.
Neil blickte auf. Es war kein Geräusch gewesen, auch keine Bewegung. Es war nur … ihre Anwesenheit.
»Hey.« Er stand auf und sah Beth an. »Alles okay? Hast du schlecht geträumt?«
»Nein, nein. Ich wollte nur … Ich wollte mit dir reden. Ich hoffe, es ist nicht zu spät.«
Neil bemerkte, dass sie nicht von der Uhrzeit sprach, und eine Welle der Zärtlichkeit ergriff ihn. »Es ist nicht zu spät«, antwortete er. Sein Hals war wie zugeschnürt. »Ich bin immer noch da.«
»Äh … Ich habe nachgedacht, und ich denke, dass ich jetzt weiß, worum es geht. Ich weiß jetzt, was du von mir willst.«
Neil wagte kaum, sich zu bewegen. »Es
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