Puppengrab
spielt keine Rol…«
»Du willst mehr. Du willst alles.«
Ihre Stimme klang brüchig, als hätten die Worte sie entzweigeschnitten. Neil überkamen Schuldgefühle. Meine Güte, das musste sie jetzt nicht tun. Er bereute, dass er ihr das jemals abverlangt hatte. Er wollte nicht, dass sie sich das Herz aus der Brust riss, um ihm Zutritt zu jedem Winkel ihrer Seele zu gewähren. Er wollte ihr Herz auch so – umgeben von einer Mauer aus Stolz und Unabhängigkeit. Und aus Geheimnissen.
»Du brauchst nichts mehr sagen.«
»Aber das will ich. Es könnte dir helfen, Bankes zu verstehen. Und … es könnte dir helfen, dir über deine Gefühle für mich klarzuwerden.«
»Ich weiß bereits, was ich für dich fühle«, erwiderte er. Doch dann warf er einen Blick auf ihre Finger, die sie so heftig knetete, dass die Knöchel weiß hervortraten. Neil spürte sein Herz zu Staub zerfallen. »Süße, erzähl mir, was dich so quält.«
»Ich … ich habe Adam versprochen, dass ich es niemandem sage. Ich habe mir selbst geschworen, dass ich es niemals erzählen würde …«
»Dass Bankes Abbys biologischer Vater ist?«
Beth erstarrte, vollkommen sprachlos. »D-du wusstest es?«
»Ich habe ein paar Haare von Abbys Haargummi ins Labor geschickt.« Neil versuchte, leise und ruhig zu sprechen, doch die Wut übermannte ihn. »Bankes hat dich in der Nacht vergewaltigt, als er Chaney getötet hat. Er wurde wütend, nachdem Anne gestorben war, hat dich mit seiner Waffe geschlagen und dich missbraucht.«
Beths Gesicht war leichenblass. Es dauerte eine Minute, bevor sie wieder etwas sagen konnte. »Wie?«
Neil trat ein paar Schritte auf sie zu. »Die Dinge ergaben keinen Sinn. Es war die Art, wie du kaum etwas davon erzählt hast, was passiert war,
nachdem
Bankes dich mit seiner Waffe geschlagen hatte. Und dass Adam dich davon überzeugt hatte, nicht zur Polizei zu gehen. Als gäbe es mehr zu vertuschen als eine versehentliche Schießerei.« Er blickte auf ihre Wange und betrachtete jene bleiche, weiße Narbe, die hätte genäht werden müssen, anstatt mit Pflastern und Lügen verarztet zu werden. »Es war die Art, wie du zusammengezuckt bist, als …«
»Als was?«
»Als ich in dein Zimmer kam, weil du einen Alptraum hattest. Ich habe dich berührt, und du bist fast zu Tode erschrocken.« Neil spürte noch immer den glühenden Zorn, der ihn erfasst hatte, als ihm klargeworden war, was Bankes Beth angetan hatte. Und als ihm klarwurde, dass sie noch immer Angst hatte. Nicht nur vor Bankes, sondern auch vor
ihm.
»Und ich wusste, dass du einen Grund hattest, Bankes’ Namen nicht zu verraten, als wir das erste Mal miteinander sprachen. Ich konnte mir nur einen Grund vorstellen, weshalb du es in Kauf nahmst, allein mit ihm fertig werden zu wollen, anstatt uns seinen Namen zu sagen: Du wolltest nicht, dass Abby je herausfindet, wer ihr Vater ist. Und du wolltest nicht, dass Adams Familie jemals davon erfährt.«
»Sie dürfen es immer noch nicht wissen«, flüsterte sie. »Wenn seine Eltern erfahren würden, dass Abby nicht …«
»Dass Abby nicht was?«
Beth schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst nur schwer verstehen. »Weißt du, in der Welt der Denisons kommt es sehr auf die Abstammung an und welchen Ruf die Familie hat. Nichts darf ihn beflecken, ein reiner Charakter … das ist ihnen wichtig.«
»Ein reiner Charakter?« Neil musste die Worte wiederholen, um zu glauben, dass Beth sie wirklich ausgesprochen hatte. »Ist es denn ein Charakterfehler von Abby, dass in ihren Adern das Blut von Chevy Bankes fließt? Ist es
dein
Charakterfehler, dass du von einem Wahnsinnigen vergewaltigt wurdest?«
Beths Verwirrung traf Neil wie ein Zweizentnergeschoss. Auf einmal verstand er. Er hatte davon gehört: Missbrauchte Ehefrauen gaben sich die Schuld für die Ausfälle ihrer Männer, schwerkranke Menschen fühlten sich schuldig, weil sie krank waren, und Vergewaltigungsopfer glaubten, die Tat sei ihre Schuld gewesen.
Gott, was war er für ein ignoranter Idiot gewesen. »Du hast all die Jahre geglaubt, dass es so ist, stimmt’s?«
An ihren Wimpern sammelten sich Tränen, die wie Quecksilbertropfen glänzten. »Adam hat immer gesagt … Ich meine, ich wusste schon, dass es ein Unfall war, aber ich habe eben alles falsch gemacht.«
»Was hast du falsch gemacht?«
»Wenn ich nicht geschrien hätte, als ich Bankes entdeckt habe. Wenn ich nicht mit ihm in den Wald gegangen wäre, als er es verlangte. Wenn ich Bankes nicht
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