Puppengrab
einen Ehering«, stellte Neil fest, »doch die Besitzurkunde Ihres Hauses ist lediglich auf Ihren Namen ausgestellt. Wo ist er? In Seattle vielleicht?«
»Er ist tot.«
Die Antwort kam blitzschnell. Es wäre ein Leichtes, zu überprüfen, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Sie konnten ihr glauben. »Seit wann?«, fragte Neil.
»Seit sieben Jahren. Er starb, als ich mit Abby schwanger war.«
»Das tut mir leid, Ms. Denison«, schaltete sich Rick wieder ein. »Wie ist das passiert?«
Sie reckte das Kinn ein Stück vor. »Nach meiner Diplomfeier flog Adam mit meiner Familie zurück nach Chicago, um sich nach einem Haus für uns umzusehen. Das Flugzeug stürzte ab. Meine Eltern, mein Bruder, mein Mann und zweihundertunddrei weitere Menschen starben. Sonst noch was?«
Herrgott, ein derartiges Schicksal hatte Neil nicht erwartet. Eine verlorene Liebe, eine Affäre, eine Scheidung vielleicht. Aber nicht den tragischen Verlust des Menschen – aller Menschen –, die sie geliebt hatte. Und das von einer Minute auf die andere.
»Nein.« Rick gab ihr seine Visitenkarte. »Wenn dieser Typ Sie erneut belästigt, rufen Sie mich bitte an, einverstanden?«
Sie nahm die Karte entgegen, und es war vollkommen klar, dass sie im Papierkorb landen würde, sobald sie aus der Tür waren. Neil folgte Rick durchs Wohnzimmer und bemühte sich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Doch dann dachte er sich:
Scheiß drauf!
Er steuerte die Couch an und kniete sich neben Abby. »Ich hoffe, dir geht’s bald wieder gut, Kleines.«
»Mr. Sheridan!«
»Mir geht’s doch gut«, antwortete Abby sichtlich verwirrt.
Neil stand auf und wandte sich an Ms. Denison. »Ist es nicht ein Wunder, wie schnell Kinder wieder auf die Beine kommen?«
»Hey«, sagte Abby, »was ist mit deinem Gesicht passiert?«
Die Frage kam wie aus heiterem Himmel, und es war keine ihrer Witzfragen. Neil berührte die Narbe. »Ich hatte eine richtig schlimme Verletzung, vor ein paar Jahren. Sieht ein bisschen unheimlich aus, hm?«
»Nein, Mommy hat auch eine. Das bedeutet nur, dass es einmal ganz doll weh getan haben muss.«
Diese Sicht der Dinge war ihm nie in den Sinn gekommen. Für eine Sechsjährige ziemlich einfühlsam – und ehrlich. Das war mehr, als ihre Mutter zustande gebracht hatte. Mit einem sorgenvollen Stich im Herzen wurde Neil klar: Abby konnte sich nicht aussuchen, in was ihre Mutter sie hineinzog. Kinder hatten nie die Wahl.
Der Gedanke verfolgte ihn, als sie zurück zum Auto liefen. Neil ließ die rechte Faust auf das Autodach knallen. Ein Schmerz zuckte bis in den Ellbogen. »Sie lügt«, sagte er, während er mit Mühe die Finger wieder streckte.
Rick machte große Augen. »Meinst du?«
»Verdammt noch mal, sie kennt ihn! Er hat eine Frau umgebracht, und sie lügt für ihn.« Sein Puls raste. »Buchte sie als Komplizin ein, Alter. Krieg raus, was sie uns verschweigt.«
»Durch Schlafentzug? Mit Waterboarding vielleicht?«
»Du kannst mich mal!«
»Ein obszöner Anrufer, Neil. Das ist ihre Geschichte, und die passt. Vielleicht hat sie ja wirklich Angst.«
»Warum hat sie dann nichts gesagt? Mein Gott, Rick, du bist Polizeibeamter, und ich bin …« Neil hielt inne. Er war nichts mehr. »Wenn sie tatsächlich Angst hat, hätte sie es uns gesagt.«
»Hat sie doch.«
»Schwachsinn. Die Geschichte vom perversen Anrufer deckt dieses Arschloch, und du weißt das.« Er ließ die Hand in die Tasche gleiten und berührte die kaputte Haarspange. »Ich muss es wissen, Rick. Ob es Russell war oder nicht. Dieser Bastard hat mich alles gekostet.«
Rick blickte ihn über das Autodach hinweg an. »Ich habe sie auch geliebt.«
Neil spürte einen Stich im Herzen. »Das ist nicht das Gleiche.«
»Stimmt«, gab Rick zu, »und so Gott will, werde ich niemals erfahren, wie es sich wirklich anfühlt. Aber du weißt ganz genau, dass ich die Frau nicht observieren lassen kann, nur weil sie einen Anruf …«
»Sieh mal.«
Rick folgte Neils Blick zu Elizabeth Denisons Haus.
Durch das Fenster zur Straße konnten sie sehen, wie sie den Telefonhörer abnahm. Sie ging damit zum Fenster, sah Rick und Neil und ließ die Jalousie herunter. Doch ihre Silhouette war noch immer zu erkennen. Nach wenigen Sekunden legte sie auf.
»Das ging aber schnell«, stellte Neil fest.
»Komm schon, Neil. Wir können die Frau nicht einfach ausspionieren. Es bringt uns überhaupt nicht weiter, sie zu beobachten.«
»Und was bringt uns weiter?«
»Wenn wir uns den Fall von
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