Puppengrab
erleichtert sein, dass zwei Helden in Uniform auf ihrer Matte standen.
»Seit wann arbeiten Sie für Foster’s?«, wollte Rick wissen. Er suchte nach Anhaltspunkten.
»Ich bin dort seit sechs Jahren in Vollzeit beschäftigt. Davor war ich auf Teilzeitbasis in ihrer Galerie in Seattle angestellt.«
»In Seattle«, wiederholte Neil nachdenklich.
»Ich war seit Jahren nicht mehr dort, Mr. Sheridan. Ich bin hierhergezogen, direkt nachdem ich meine Uni-Abschlüsse gemacht hatte.«
»In welchen Fächern?«
»Ich habe einen Bachelor-Titel in Amerikanischer Geschichte und einen Magister in Kunstgeschichte.«
Sie wirkte fast ein wenig trotzig, als sie ihm antwortete. Sie hatte das Kinn leicht nach vorn gereckt und sah ihm geradewegs in die Augen, als fordere sie ihn heraus, an ihrer Aussage zu zweifeln. Gute Lügner taten das – sie erzählten die Wahrheit, wann immer es ging, um die Abweichungen von der Realität so gering wie möglich zu halten. Sie war gut darin. Und sie hatte faszinierende Augen, in denen sich ein Mann leicht verlieren konnte, wenn er nicht rechtzeitig achtgab. Sie waren groß und hatten die Farbe von schwarzem Kaffee. Ihre Augenbrauen besaßen einen eleganten Schwung, und sie besaß lange Wimpern. Sie wirkte exotisch. Doch da schwang auch noch etwas anderes mit.
Sie war erschöpft. Neil hätte wetten können, dass sie in letzter Zeit wenig geschlafen hatte.
»Müssen Sie hin und wieder geschäftlich verreisen?«, fragte Rick.
»Manchmal reise ich zu Antiquitätenausstellungen. Die finden meistens an verlängerten Wochenenden rund um Feiertage statt.« Sie hielt kurz inne. »Aber nicht in Seattle.«
Neil deutete auf ihr Gesicht. »Dann liegt es also nicht am Jetlag, dass Sie solche Augenringe haben.«
Elizabeth Denison reagierte irritiert. »Abby hat sich vor zwei Nächten nicht gut gefühlt, und ich bin mit ihr wach geblieben. Ich war mir nicht darüber bewusst, dass ich mich strafbar mache, wenn ich in meinem eigenen Haus ans Telefon gehe. Brauche ich jetzt einen Anwalt?«
Neils riss der Geduldsfaden. Sie log ihnen einfach ins Gesicht. Er ging zum Telefon, das auf der Küchenanrichte stand. »Darf ich? Soll ich den Pflichtverteidiger für Sie anrufen?« Absichtlich hantierte er etwas umständlich mit dem Telefon herum und drückte auf eine Taste. »Oh, Verzeihung«, sagte er zuckersüß. Rick stieß einen leisen Fluch aus.
»Sie haben … zwei … neue Nachrichten«,
kündigte die männliche Stimme des Anrufbeantworters an.
Elizabeth Denison reagierte panisch. »Das dürfen Sie nicht …«
Neil packte sie am Handgelenk, als sie nach dem Hörer griff. Eine weibliche Stimme war zu hören:
»Ms. Denison, hier spricht Margaret Chadburne aus Boise. Ich rufe noch einmal wegen der Puppen an, die ich Ihnen geschickt habe. Die erste müsste heute Morgen bei Ihnen eingetroffen sein.«
Neil spürte ihren Puls unter seinen Fingern pochen. Er lockerte seinen Griff ein wenig.
Piep.
»Hey, Süße, ich bin’s. Hannah sagte mir, du hast heute Nachmittag die Aufsatzkommode von Waterford aus der Galerie abgeholt. Ruf mich doch bitte an, sobald du sie dir angesehen hast.«
Als der Schlusston erklang, blickte Neil zu ihr hinab. »Wer war das?«
»Margaret Chadburne aus Boise. Sie hat noch einmal wegen der Puppen nachgehakt, die sie …«
»Der zweite Anrufer.«
»Mein Chef. Evan Foster.«
»Süße«, wiederholte Neil, und sie sah ihn erstaunt an. »Er hat Sie ›Süße‹ genannt.«
»Evan Foster war vor zwei Nächten nicht in Seattle, und er hat mich auch nicht angerufen. Lassen Sie ihn da raus!«
Neil verkniff sich ein Lächeln. »Sie sorgen sich wohl sehr um Ihre Freunde.« Er drehte die Hand, um die Schürfwunden auf ihren Fingerknöcheln zu betrachten. »Lassen Sie dabei auch öfter die Fäuste sprechen?«
»Ich kickboxe«, antwortete sie und riss sich von ihm los. Zum ersten Mal hatte sie die Wahrheit gesagt. Sie ließ nicht locker, war zäh und kampfbereit. Neil stellte sich ihren sehnigen Körper in hautenger Sportbekleidung vor. Er malte sich aus, wie sie beim Boxen all die Anspannung loswurde, mit der sie ihre Fassung bewahrte.
Nicht gut. Neil musste den Gedanken abschütteln. »Wo ist Ihr Mann?«, fragte er.
»Wie bitte?«
Er deutete in Richtung Eingangsbereich, wo er an der Wand hinter der Küchentür ein großes Foto gesehen hatte. Elizabeth Denison trug darauf ein cremefarbenes Kleid und hatte einen Blütenzweig im Haar. Neben ihr stand ein rotblonder Mann. »Sie tragen
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