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Puppenmord

Titel: Puppenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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anzuziehen, oder wenigstens irgendwas, womit sie sich bedek-ken konnte. Sie sah sich nach was Behelfsmäßigem um und entschied sich schließlich für den Efeu, der sich am Friedhofszaun hochrankte. Ein Auge auf das Pfarrhaus gerichtet, kam sie unter der Weide hervor und hetzte zum Zaun rüber und durch die Pforte auf den Kirchhof. Dort riß sie von einem Baumstamm etwas Efeu herunter, und schlich, die Ranken ziemlich krampfig vor sich haltend, verstohlen den zugewachsenen Weg zur Kirche hoch. Den größten Teil des Weges gaben ihr die Bäume Schutz vor dem Haus, aber ein- oder zweimal mußte sie sich tief ducken und in voller Sicht vom Pfarrhaus aus von einem Grabstein zum anderen hasten. Als sie in der Kirchenvorhalle ankam, schnappte sie nach Luft und kam sich noch zehnmal unmöglicher vor. Wenn die Vorstellung, sich unbekleidet vor dem Haus zeigen zu müssen, sie schon des allgemeinen Anstands wegen zutiefst entrüstete, so war, splitterfasernackt in eine Kirche zu gehen, schlichtweg Gotteslästerung. Sie stand in dem Vestibül und versuchte völlig aufgelöst, sich einen Ruck zu geben und reinzugehen. Es gab in der Sakristei bestimmt Chorhemden für den Chor, und in einem Chorhemd konnte sie zum Haus hinaufgehen. Oder doch nicht? Eva war sich über die Bedeutung von Chorhemden nicht sicher, und der Pfarrer könnte vielleicht darüber böse sein. O Gott, es war ja alles so peinlich. Schließlich öffnete sie die Kirchentür und ging hinein. Da drin war's kalt und feucht und leer. Den Efeu an sich gepreßt, ging sie zur Sakristei hinüber und drückte auf die Klinke. Die Tür war zu. Zitternd stand Eva da und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Schließlich ging sie hinaus und stand in der Sonne, wo sie versuchte, wieder warm zu werden.
    Im Lehrerzimmer der Berufsschule zog Dr. Board Bilanz. »Alles in allem meine ich, sind wir aus der ganzen Affäre recht ehrenvoll hervorgegangen«, sagte er. »Der Direktor hat ja schön immer gesagt, er wolle die Schule in aller Munde bringen, und man muß sagen, mit der Hilfe unseres Feundes Wilt ist ihm das auch gelungen. Die Zeitungspropaganda war einfach ungeheuer. Es sollte mich nicht wundern, wenn der Schülerzustrom auffallend in die Höhe ginge.«
    »Das Komitee hat unserem Antrag nicht zugestimmt«,
    sagte Mr. Morris, »also können Sie wohl kaum behaupten, daß der Besuch uneingeschränkt erfolgreich war.«
    »Ich persönlich meine, sie haben was bekommen für ihr Geld«, sagte Dr. Board. »Es kommt wohl nicht alle Tage vor, daß man die Möglichkeit hat, eine Exhumierung und eine Exekution gleichzeitig zu sehen. Normalerweise findet ja die eine vor der anderen statt, und zu sehen, wie sich etwas, was klar und eindeutig eine Frau war, in wenigen Sekunden in einen Mann verwandelt, eine blitzschnelle Geschlechtsumwandlung, war, um es etwas salopp auszudrücken, einfach irre.«
    »Da wir gerade vom armen Mayfield sprechen«, sagte der Leiter der Geographie, »wie ich höre, ist er immer noch in der Nervenklinik.«
    »Entmündigt?« fragte Dr. Board hoffnungsvoll.
    »Entmutigt. Und an Erschöpfung leidend.«
    »Kaum verwunderlich. Jeder, der wie er die Sprache gebraucht . . . Die Sprache mißbraucht, fordert das Unglück heraus. Wenn ich bloß an »strukturieren« denke.«
    »Er hatte auf den neuen Unterrichtszweig so großen Wert gelegt, und die Tatsache, daß er nicht durchgekommen ist...«
    »Ist auch völlig in Ordnung«, sagte Dr. Board. »Ich kann einfach keinen erzieherischen Nutzen darin sehen, zweit-rangige Schüler mit fünftrangigen Vorstellungen über so unterschiedliche Themen wie Dichtung des Mittelalters und Städtebau vollzustopfen. Viel besser, sie verbringen ihre Zeit damit, der Polizei zuzugucken, wie sie die angebliche Leiche einer mit Beton überzogenen Frau ausgraben, ihr den Hals langziehen, die Kleider vom Leibe reißen, sie erhängen und schließlich aufblasen, bis sie explodiert. Das ist es, was ich wirklich Lernerfahrung nenne. Sie verbindet Archäologie und Kriminologie, Zoologie und Physik, Anatomie und Wirtschaftslehre miteinander, und die Schüler bleiben dazu auch noch die ganze Zeit voll bei der Sache. Wenn wir unbedingt neue Unterrichtszweige haben müssen, dann doch von dieser Lebensnähe und praktischen Anwendbarkeit. Ich denke daran, mir eine von diesen Puppen schicken zu lassen.«
    »Das läßt immer noch die Frage nach Mrs. Wilts Verschwinden offen«, sagte Mr. Morris.
    »Mein Gott, die liebe Eva«, sagte Dr. Board wehmütig.

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