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Puppenrache

Puppenrache

Titel: Puppenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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reicht’s mir wieder«, hatte Gwen gesagt, »dann will ich nur noch in die Stadt. Auf dem Land hast du echt das Gefühl, dass alles andere woanders passiert, nur nicht dort, wo du bist.«
    »Ich stell’s mir ganz schön vor, wenn nichts passiert«, hatte Sara erwidert und Gwen hatte sie ein bisschen verwundert angesehen. Nach einer Weile hatte Gwen etwas gesagt, worauf Sara keine Antwort gewusst hatte. »Du rennst vor jemandem davon, stimmt’s? Nein, du brauchst mir nicht zu antworten. Ich spüre es einfach. Deine Angst wird immer größer. Glaub mir, das Einzige, wie du die Angst loswerden kannst, ist, wenn du dich ihr stellst. Sonst bist du immer eine Gejagte.«
    Du weißt nicht, wovor ich weglaufe, hatte Sara gedacht. Ihm kann ich mich niemals stellen. Niemals!
    Der Fahrer kündigte endlich Melbourne an. Sara rutschte unruhig auf ihrem Sitz herum. Plötzlich überfiel sie Panik. Vor dem Fremden. Vor einer unbekannten Wohnung. Vor dem Warten. Vor dem Unsichtbarsein.
    »Du steigst hier aus?«, fragte Gwen, die so ausgesehen hatte, als würde sie schlafen. Jetzt gähnte sie, streckte ihre Arme.
    »Ja.« Sara nickte.
    »Melbourne. Dahin bin ich damals abgehauen. Das war ein Erlebnis!« Sie lachte und gähnte wieder. »Meine Eltern hatten mich ganz schnell gefunden, eher als die Polizei. Und ich war doch ganz froh. Es war nämlich alles anders, als ich mir das so vorgestellt hatte. Zwei Tage auf der Straße haben mir echt gereicht.«
    Sara lächelte. »Ich werd abgeholt.« Einen Augenblick lang gab sie sich der Vorstellung hin, dass jemand von ihrer Familie dort wartete. Oder Stephen. Dass sie umarmt, dass ihre Tasche zum Auto getragen wurde. Und dass man als Überraschung einen Barbecue-Abend mit Freunden vorbereitet hatte. Sie freuen sich alle, dass du wieder da bist! Sie kommen alle!, hörte sie in Gedanken die Stimme ihrer Mutter.
    »Und ich hab die ganze Zeit gedacht, du bist menschenseelenallein«, riss Gwen sie aus ihrer Wunschwelt.
    »Mach’s gut«, sagte sie zu Gwen, stand auf, holte ihre Tasche aus dem Gepäckfach und bahnte sich ihren Weg durch den Gang.
    Beim Aussteigen blickte sie sich um. Nate hatte ihr keine Beschreibung gegeben, sie hatte keine Ahnung, wer hier auf sie warten würde. Ein Mann im dunklen Anzug kam auf den Bus zu. War er das? Aber er sprach sie nicht an, sondern ging an ihr vorbei und überquerte die Straße. Ihr Hals fühlte sich trocken und wund an.
    »Er muss jemanden draußen haben, der ihm geholfen hat.« Nates Satz kam ihr wieder in den Sinn. Und sie dachte an Dave, der ausgeschieden war –
    »Sara?«, rief eine Stimme.
    Sie drehte sich um und sah einen Mann winken. Schon wollte sie Ja rufen, als ihr ein schrecklicher Gedanke in den Kopf schoss. Und wenn dieser Mann gar nicht der von Nate geschickte war? Er muss einen Helfer draußen haben… oder wenn Nate… oder wenn es eine undichte Stelle… ihre Gedanken überstürzten sich – der Bus stand noch da, die Türen geöffnet –, drei Schritte, höchstens vier und sie wäre wieder da drin und würde einfach weiterfahren –
    »Sara?«, rief der Mann noch mal und war jetzt nur noch wenige Schritte von ihr entfernt.
    Jetzt, geh zurück, steig einfach wieder in den Bus… Doch so laut die Stimme in ihrem Kopf auch schrie, ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sara stand einfach nur da, erstarrt, erschöpft, unfähig, sich zu bewegen, während ihre Chance zu entkommen geringer wurde.
    Die Türen schlossen sich. Der junge Mann kam näher.
    Der Bus fuhr an. Vorbei.
    »Ich bin Tim. Nate schickt mich«, sagte er lächelnd und nahm ihr die Reisetasche ab. Dabei legte er kurz seine Hand auf ihren Arm.
    Und diese kleine Geste war es, die Sara aus ihrer Angststarre erlöste. Sonst reagierte sie eher ungehalten auf Berührungen, doch Tims warme Hand wirkte beruhigend auf sie. Tröstend, beschützend. Es war das erste positive Gefühl, seit sie ihn vor zwei Tagen im Klub gesehen hatte.
    »Hallo«, sagte sie, sah ihm in die Augen und war ein bisschen beruhigt. Er hätte ein Verwandter von Nate sein können. Die gleichen dunklen, kurz geschnittenen Haare, das gleiche offene Lächeln, der gleiche kräftige Körperbau. Vielleicht wurden alle nach denselben Kriterien für diesen Job ausgewählt, dachte sie. Oder es meldeten sich immer dieselben Typen für diese Arbeit.
    »Hattest du eine gute Fahrt?«, fragte er freundlich.
    »Ja«, sagte sie bloß. Und obwohl sie sich in Tims Nähe sicher fühlte, wollte das Misstrauen nicht von ihr weichen. Es war

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