Puppenrache
lachen, wie pummelig man als Baby aussah oder welche abartige Frisur die Mutter hatte und was für Koteletten der Vater, oder von Klassenpartys zu erzählen und von Ferien mit den Eltern, von Freunden… oder ausgelassen herumzualbern und dem anderen alles anzuvertrauen, was einem so in den Kopf kam – und auch, was man in der Nacht träumte.
Noch vor drei Jahren hatte sie nie daran gezweifelt, dass sie sich verlieben und dass dann alles eben genau so wie in ihren Vorstellungen werden würde. Doch dann war dieser Nachmittag gekommen, dieser Nachmittag eines perfekten Tages. Sie war bei Amber…
»Kommst du zurecht?«, riss Tims Frage sie aus ihren Gedanken.
»Ja, klar.«
»Ich weiß, es ist nicht toll, aber… es ist ja nur vorübergehend. Wir tun unser Bestes.«
»Ja.«
Er nickte mehrmals. Sein Lächeln wirkte, als müsste er sich selbst von dem überzeugen, was er gerade gesagt hat, dachte sie.
»Schon mal in den DVDs gestöbert?«, fragte er aufmunternd. »Haben ein paar Kolleginnen zusammengestellt.«
»Nein, mach ich noch.«
»Sind bestimmt ein paar brauchbare darunter.«
Sie merkte, dass er unruhig wurde. Mehrmals sah er verstohlen auf die Uhr, rutschte auf dem Stuhl herum, wollte keinen Kaffee mehr, obwohl er schon zweimal zur leeren Tasse gegriffen hatte.
»Ich muss los, Sara«, sagte er schließlich entschuldigend und schob den Stuhl zurück.
»Klar, kein Problem«, log sie und setzte auch noch ein Lächeln auf.
»Hab ein bisschen Geduld, hm?«
»Ja, sicher.«
»Und«, sein Blick wurde eindringlich, »keine Außenkontakte, ja? Keine Telefonate. Wenn er dich wirklich in Sydney aufgespürt hat, dann…«
Sie wusste, was er gleich sagen würde.
». . . dann hat er irgendwo eine Quelle«, fuhr er fort. »Und solange wir die nicht aufgedeckt haben, müssen wir vorsichtig sein.«
»Eine Quelle?«, fragte sie, obwohl sie ja gestern bereits diesen furchtbaren Gedanken hatte. Aber jetzt wollte sie es genau wissen.
»Ja…« Er zögerte.
»Das heißt, jemand hat mich verraten, oder? Es könnte also auch jemand von der Polizei gewesen sein«, brachte sie es auf den Punkt.
Er zögerte wieder. »Na, ich denke, nicht unbedingt von der Polizei… er hat sicher genügend Kontakte im Gefängnis geknüpft, aber… aber… ja, alles ist möglich.«
Sara spürte, wie sich der unsichtbare Panzer, der sie umgab, wieder enger zusammenzog. Alles ist möglich… ich kann niemandem trauen…
Er fragte noch, ob sie was brauche, dann war sie wieder allein. Sie räumte auf, spülte, setzte sich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein.
Doch es kam nichts, was sie interessierte, außerdem nervten sie die Werbeunterbrechungen. Sie stellte den Ton ab und starrte auf die Bilder, bis ihr die Augen zufielen.
Am Mittag rief Tim an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Sie war auf der Couch eingeschlafen. Sie sagte Ja, stand auf und verließ die Wohnung. Keine Stunde länger würde sie es in diesem Gefängnis aushalten.
Nur eine Straße weiter entdeckte sie eine Straßenbahnhaltestelle und fragte einen Fußgänger mit Hund, ob die Straßenbahn in die City fahren würde. Er bejahte, sie kaufte sich einen Fahrschein und wartete.
Wenige Minuten später kam schon die Straßenbahn und eine halbe Stunde später stieg sie im Zentrum aus. Sie erkundigte sich nach den Einkaufsstraßen und schlenderte dort umher, schaute sich die Auslagen der Schaufenster an, ging durch Kaufhäuser, hörte in einem Laden Musik, setzte sich mit einem Eis auf eine Bank und stellte sich vor, dass sie das völlig normale Leben einer völlig durchschnittlichen Achtzehnjährigen führte. Irgendwann kam sie auf ihrem Streifzug an einem Supermarkt vorbei. Am Schaufenster klebte ein Zettel:
Schüler/Studenten als Mitarbeiter gesucht
Sie überlegte nur kurz. Warum bleibe ich nicht einfach hier, in Melbourne?, fragte sie sich. Wieso sollte er mich hier eher finden als in Perth oder Adelaide? Und wenn er mich hier finden kann, dann kann er mich dort genauso gut finden! Saras Entschluss stand fest.
Sie ging in den Laden, sprach mit dem Abteilungsleiter und erklärte, dass sie bereits in einem anderen Supermarkt gearbeitet hätte. Man wollte Zeugnisse sehen. Sie ließ den Abteilungsleiter eine Mail an Lisa schicken, in der sie um ein Zeugnis bat und ihre überraschende Abreise mit einem unvorhergesehenen familiären Problem entschuldigte.
Anschließend arbeitete sie eine halbe Stunde an der Kasse, um zu zeigen, dass sie Erfahrung hatte.
Der
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