Puppenrache
seinen Freunden weggegangen. Das war alles. Mehr Freunde hatte sie nicht. Er hatte sich eingeredet, sie wäre einfach schüchtern, zurückhaltend, eine von jener Sorte, die eben lieber im Hintergrund blieb. Aber wenn er jetzt genauer darüber nachdachte, war es etwas anderes gewesen. Angst.
Sara war nicht schüchtern. Sie war ängstlich. Und an jenem Abend in der Bar, so kam es ihm jetzt vor, hatte sie so richtig Angst gehabt. Als sie sagte, ein Typ sei hinter ihr her.
Aber sie hatte ihm nie etwas über einen Exfreund erzählt. Oder über jemanden, der sie schon öfter belästigt hatte.
Das Handyklingeln weckte sie und zuerst dachte sie, sie wäre zu Hause in Sydney und es sei der Wecker auf Stephens Bettseite. Dann realisierte sie, dass sie allein in einem Bett lag, das fremd roch, und der schrille Ton vom Handy auf ihrem Nachttisch kam.
Tim zeigte das Display. Und schlagartig wurde ihr alles wieder klar.
»Ist alles okay? Gut geschlafen? Ich bring gleich das Frühstück vorbei!« Er klang gut gelaunt und wollte wissen, ob sie etwas Besonderes haben wollte, aber ihr fiel nichts ein. Allein beim Gedanken an Essen bekam sie ein mulmiges Gefühl.
Am liebsten wäre sie aus dieser Wohnung zum nächsten Bus gerannt und weitergefahren. Sie fühlte sich besser, wenn sie unterwegs war, statt an einem Ort zu verharren. Sie hätte Nate gar nicht erst anrufen, sondern einfach weiter nach Perth fahren sollen, ohne jemandem etwas zu sagen. Aber nun war es zu spät.
Sie ging ins Badezimmer. Die beigen Fliesen mit dem Blumendekor waren stumpf und passten nicht zum grünlich geflammten PVC-Boden. Obwohl sie wusste, dass sie sich nicht daran stören sollte, machte sie diese Hässlichkeit wütend. Weil sie zufrieden sein musste, weil sie sich damit abzufinden hatte. Weil sie ausgeliefert war.
Und all das wegen ihm.
Er hatte ihr einfach ihr Leben genommen.
Das heiße Wasser kam in müden Strahlen durch den Duschkopf. Etwas anderes war ja in diesem Apartment kaum zu erwarten gewesen. Sie trocknete sich mit einem vom häufigen Waschen knochenharten gräulichen Handtuch ab, schlang es um den Kopf und kramte aus ihrer Reisetasche etwas Frisches zum Anziehen. Sie hätte die Sachen schon längst in den Schrank im Schlafzimmer einräumen können. Aber wenn sie das tat, dann richtete sie sich auf Bleiben ein – und sie wollte nicht bleiben. Wollte nicht wieder warten müssen, bis etwas passierte.
Sie trocknete ihr Haar mit einem überraschend neuen Fön und räumte in der Küche ein paar Sachen für das Frühstück aus dem Kühlschrank. Bevor es zweimal kurz klingelte, hatte sie Kaffee gekocht und in der Küche zwei Teller mit Besteck und zwei Tassen gedeckt.
Sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Er hatte ihr eingeschärft, nie zu öffnen. Klingeln würde er bloß, um sich anzukündigen. Auch an den Türspion sollte sie nicht gehen und immer beide Schlösser verriegeln. Das waren keine neuen Regeln für sie und sie hatte einfach nur genickt.
»Schokoladen-Croissants!« Er hielt eine duftende Papiertüte durch den Spalt, dann kam er selbst herein und verriegelte die Tür hinter sich. »Mhm, Kaffee!«, sagte er und schnüffelte in die Luft.
»Ich weiß nicht, ob er schmeckt, manchmal mach ich ihn zu stark, manchmal zu dünn.«
»Kein Problem, ich trinke Kaffee in jedem Aggregatzustand!«, gab er zurück und lachte. Er brachte einen kräftigen Geruch nach Rasierwasser mit, sein dunkles Haar glänzte feucht und sein kurzärmeliges blaues Hemd über der Jeans war einwandfrei gebügelt. Sie mochte seinen sauberen Geruch und Anblick.
»Gibt’s was Neues?«, fragte sie so beiläufig wie möglich, während sie ihm Kaffee eingoss – als würde sie sich gerade erkundigen, wie das Wetter draußen war.
»Nein, bis jetzt nicht. Die Polizei hat ein paar Spuren verfolgt, die nach Brisbane führten, doch die sind bisher alle ins Leere gelaufen.« Er hatte sich auf den Stuhl gesetzt und die Tüte mit den Croissants aufgemacht. »Für dich. Ich hab schon.« Er klopfte auf seinen Bauch, der keiner war. Wahrscheinlich hat er schon zu Hause gefrühstückt, mit seiner Frau. Vielleicht hatte er auch Kinder. Nate und Dave hatte sie damals gefragt, aber schnell gemerkt, dass sie nicht gern über ihr Privatleben sprachen.
Manchmal stellte sie es sich vor, wie es wohl wäre, sich einfach so zu verlieben. Einfach so, wie alle anderen. Verrückte Dinge zu tun oder auch bloß gemeinsam alte Fotoalben durchzublättern, darüber zu
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