Puppenrache
wollte wegsehen, doch da legte er den Kopf schief und sagte: »Du hast ziemliche Angst vor irgendwas, stimmt’s?«
»Wie kommst du denn darauf?«, erwiderte sie so empört, wie es ihr möglich war.
»Na«, er rieb sich verlegen die Nase, »du siehst dich dauernd um, bist nicht gerade besonders locker und ja, die Sache eben mit Gina. Lass mich raten, es hat mit deinem Freund zu tun.«
Sie nickte dankbar. Ja, das war die einfachste Antwort.
Er lächelte und trank einen Schluck von seiner Cola. »Ich seh so was.«
Sie hätte sich denken können, dass der Abend so verlaufen würde. Ihre Schauspielkünste waren äußerst dürftig.
»War er gemein zu dir?«
»Ja«, sagte sie und versteckte ihren Mund hinter dem Glasrand.
»Was hat er dir angetan?«, fragte er weiter.
»Das brauchst du nicht zu wissen.« Ich gehe gleich, sagte sie sich.
»Und sucht er dich? Ist er hinter dir her? Manche Typen sind total schräg drauf! Die können es nicht akzeptieren, wenn sie verlassen werden. Die drehen durch, schwören Rache und so.«
»Ich will über was anderes reden«, sagte sie.
»Okay, verstehe, sorry, wirklich«, sagte er rasch. »Ich wollte dich nicht ausfragen, ich hab nur gedacht… na ja, schon als ich dich gestern das erste Mal gesehen habe – du siehst so traurig, irgendwie… ängstlich aus… und ich hab gedacht… ich könnte dir vielleicht helfen.«
Ja, er war nett. Viel zu nett.
»Ich will jetzt wirklich von etwas anderem reden.«
»Okay.« Er lächelte. »He, hörst du? Dolly Parton! Hat mehr als einhundert Millionen Platten verkauft. Ich glaub, die ist mittlerweile siebzig.«
Trotzdem kannte sie sie nicht. War wohl nicht ganz ihr Musikgeschmack.
»Ich steh mehr auf Ducktails«, sagte sie.
»Entenschwänze?« Er grinste. Und jetzt musste sie sogar auch ein bisschen lachen.
»Mann, wie kommt man nur auf so einen bescheuerten Bandnamen!«, lachte er.
»Frag ich mich auch!«, gab sie zurück.
»Ja. Oder Ty Segall.«
»Ty Segall?« Sie warfen sich noch weitere verrückte Gruppennamen an den Kopf und lachten.
»Ich weiß noch einen: Powderfinger.« Sie lachte wieder, verstummte plötzlich. »Was siehst du mich so an?«
Er wurde wieder rot. »Ich… es ist schön, wenn du lachst. Ich würde dir gern… nur lustige Dinge erzählen.«
Das rührte sie ein bisschen. Aber rasch sagte sie: »Birds of Tokyo!«
Er sagte leise: »Stay another day…«
»Was?«
»Eine Zeile aus ihrem Song Train Wrecks.«
Seine Augen ließen ihre nicht los.
»She is alone… she feels so alone«, sagte er noch leiser. Kälte kroch in ihr hoch, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Und plötzlich war alles wieder da. Die Angst, die Wirklichkeit. Sie WAR allein…
»Nein, bitte«, seine Hand legte sich auf ihre, es passierte einfach. »Ich will dich nicht traurig machen…«
Ihre Hand glitt unter seiner fort. Er brachte ein unbeholfenes, entschuldigendes Lächeln zustande.
»Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber du brauchst mir auch nichts zu erzählen, okay? Wir können auch einfach nur so dasitzen…«
»Ich geh jetzt.« Das Glas war noch nicht leer, aber Sara schob es weg und wollte aufstehen.
»Tut mir leid, bitte… bleib doch noch. Ähm, hast du vielleicht Hunger? Hier gibt’s die besten Hamburger!«
Tatsächlich hatte sie Hunger, stellte sie fest. Oben in ihrer Wohnung würde sie bestimmt nichts essen. Im Kühlschrank lag sowieso nichts Aufregendes. Auf einmal hatte die Vorstellung eines Hamburgers etwas Beruhigendes.
»Und die Pommes?«, fragte sie also.
Er grinste. »Die besten in der Stadt.«
Sie lehnte sich zurück. »Ich steh auf Surfmusik.«
»Lo-Fi-Geschrabbel?«, fragte er und runzelte übertrieben die Stirn. »Du surfst, stimmt’s? Du kommst von der Küste.« Er legte wieder den Kopf schief und betrachtete sie. »Sagen wir mal… Sydney.«
Und da war es wieder, dieses plötzliche Erschrecken. Er merkte es und schwenkte um. »Okay, lass uns von was anderem reden. Weißt du, woher ich komme?«
Sara war wütend. Nicht auf ihn, sondern auf sich. Warum konnte sie sich nicht ein Mal wie ein normale Achtzehnjährige verhalten? Warum musste sie immer und überall das Schlimmste vermuten? Sie wollte nicht, dass ihre Erinnerungen sie immer wieder einholten…
»Aus der Nähe von Adelaide«, redete Chris weiter. »Und wenn ich Nähe sage, dann mein ich dreihundert Kilometer, verstehst du? Dreihundert Kilometer rein ins Land. Ich habe mir oft vorgestellt, einfach abzuhauen, mit ’nem alten
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