Puppenrache
hatte sie ihm nur trauen können? Sie musste zur Polizei!
»Bitte, beruhig dich.« Er streckte seine Hand nach ihr aus, doch sie zog ihren Arm weg.
»Dann erklär mir, wieso du heute an meinem Haus warst!«
Er atmete tief aus, starrte geradeaus und sagte dann leise: »Als du nach dem Weatherwave so schnell nach Hause wolltest, da bin ich dir nachgegangen. Ich… wollte wissen, ob du… einen Freund hast… und wie du… mit Nachnamen heißt.«
»Du hast mir nachspioniert?«, schrie sie.
»Nein… äh… na ja… ich wollte einfach wissen, ob… ob es… ob ich eine Chance bei dir…«
Sie musterte ihn.
»Sorry, ich wollte an dem ersten Abend nicht so aufdringliche Fragen stellen.«
Er zuckte die Schultern und sah irgendwie hilflos aus. In den letzten Jahren hatte sie so wenigen Menschen vertraut, hatte immer bloß den möglichen Verräter in den Menschen gesehen. Sie war darüber so einsam – und so müde geworden.
»Ehrlich, du hast mich… gerührt«, sagte er.
Sie sah ihn an und musste sich dann rasch abwenden. Er sollte nicht sehen, dass sie dieses Wort aus der Fassung brachte.
»Okay«, sagte sie und zog kurz die Nase hoch, »tut mir leid. Danke. Danke, dass du…« Wie schwer es ihr fiel, Gefühle auszudrücken, die Mauer in ihr war so dick und hoch. ». . . dass du mir geholfen hast«, brachte sie noch heraus.
Sie wollte nicht zur Polizei, wollte einfach nur ihrem Bauchgefühl trauen, das ihr gerade sagte, dass Chris ihr tatsächlich helfen wollte. Dass er genauso ein Mensch wie Stephen war, der es gut mit ihr meinte. Sie hatte einfach keine Kraft mehr. »Tja, hier ist wirklich keine Polizei… und das mit dem Versteck ist wahrscheinlich gar keine so schlechte Idee.«
Er lächelte. »Sie heißt Alex. Ich ruf sie an.«
Obwohl Sara unendlich müde war, konnte sie doch nicht schlafen. Seit einer Stunde waren sie nun unterwegs. Noch nie war sie weiter als hundert Kilometer rund um Brisbane gekommen und dann hatte sie in Syndey gelebt. Den Busch, die Wüsten und Regenwälder kannte sie nur aus dem Fernsehen. Stephen hatte immer davon geträumt, mit ihr den Kontinent zu erkunden. Ein halbes Jahr oder länger wollte er mit seinem Bus durchs Land fahren. Sie hatte Angst davor gehabt. Sie fürchtete sich vor einsamen Landschaften genauso wie vor überlaufenen Städten, vollen Discos und Bars, leeren Parks und ruhigen Stränden. Und vor der Dunkelheit. Eigentlich fühlte sie sich nirgendwo sicher.
Sara starrte durch die Scheibe hinaus ins Dunkle, manchmal wusste sie gar nicht, ob sie wach war oder schlief. Hin und wieder reflektierten Schilder, weiße Seitenstreifen oder Baumstämme das Licht. Irgendwann begannen aus der Dunkelheit Gestalten auf sie zuzukommen. Was im einen Moment noch wie ein Baumstamm aussah, war plötzlich eine spindeldürre Hexe, die ihre Finger nach ihr ausstreckte, da kam ein Augenpaar auf sie zugeflogen, sie zog den Kopf ein. Das war alles unmöglich, sagte sie sich, das war nicht real, aber sie erschrak dennoch, da, schon wieder, war das nicht ein… ein Kind, es lief über die Straße…
23
»… Silberbergwerken dort.«
»Was?«, sie schreckte auf. Sie war wohl tatsächlich eingeschlafen.
»Der Name kommt von den Silberbergwerken«, wiederholte er und fügte hinzu: »Du hast ja geschlafen.«
»Ich hab nicht geschlafen.«
Er sah kurz zu ihr herüber. »Du hast sogar geschnarcht.«
»Ich?«, fragte sie verdutzt. »Ich schnarche nie.«
Er lachte.
»Wirklich«, versicherte sie, und als er grinste, begriff sie, dass er sich einen Spaß erlaubt hatte.
»Der Ort, in den wir fahren, heißt Silver Town«, sagte er dann.
»Klingt so, als gäb’s dort Silber.«
»Nicht mehr. Irgendwann im letzten Jahrhundert oder so.«
»Schade. Da hätte ich nach Silber suchen können.«
»Du hättest nach Silber gegraben?« Er lachte. »Ist aber ganz schön öde. Wenn du Pech hast, gräbst du dein ganzes Leben lang und findest nie was.«
Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht hätte ich ja Glück gehabt.« Verglichen mit ihrem momentanen Leben erschien ihr das Leben als Silberschürferin gar nicht so schlecht.
»Und was würdest du mit dem vielen Geld machen?«
In der Straße, in der sie früher gewohnt hatten, stand ein Apartmenthaus. Von dem Besitzer hieß es, er habe Opale im Wert von Millionen gefunden, erinnerte sie sich.
»Ich glaub, ich würde reisen. Ganz weit weg. Nach England oder Irland. Die Urgroßeltern meines Vaters kamen aus Irla. . .« Sie stockte. Auch das hatte Sara
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