Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
Nachdem sie das Taxi bezahlt hatte, stand sie mit dem Zettel in der Hand unten vor dem Mietshaus, in dem der Professor wohnte. Doch sie konnte nirgends einen Briefkasten entdecken. Anscheinend hatten die Wohnungen alle einen eigenen Briefschlitz, und der Briefträger musste morgens so lange auf diverse Klingelknöpfe drücken, bis ihn jemand hereinließ. Natürlich konnte sie ihre Nachricht auch unter der Tür durchschieben, allerdings befürchtete sie, dass das Schreiben dort zwischen irgendwelche Werbesendungen geraten würde. Also betrachtete sie die Klingelreihen. Professor Devlin war dort als »D. Devlin« aufgeführt. Mal sehen, vielleicht war er sogar zu Hause. Sie drückte auf die Klingel. Als niemand reagierte, inspizierte sie die übrigen Klingelknöpfe und überlegte, wo sie läuten sollte. Dann knackte die Sprechanlage.
»Hallo?«
»Dr. Devlin? Hier spricht Jean Burchill vom Nationalmuseum. Ich würde gerne kurz mit Ihnen...«
»Miss Burchill? Was für eine Überraschung.«
»Ich habe schon mehrmals bei Ihnen angerufen...«
Doch dann hörte sie, wie der Türöffner surrte.
Devlin erwartete sie bereits vor seiner Wohnung. Er trug ein weißes Hemd und hatte die Ärmel aufgerollt. Seine Hose wurde am Bauch von breiten Trägern gehalten.
»Na so was«, sagte er und reichte ihr die Hand.
»Tut mir Leid, dass ich Sie störe.«
»Keine Ursache, junge Frau. Kommen Sie doch herein. Ich fürchte, Sie werden an meiner Haushaltsführung einiges auszusetzen finden.« Er führte sie in das mit Schachteln und Büchern voll gestopfte Wohnzimmer.
»Ich bin gerade damit beschäftigt, hier mal die Spreu vom Weizen zu trennen«, erklärte er.
Als sie den Deckel von einer der Schachteln nahm, sah sie, dass er darin alte chirurgische Instrumente verwahrte. »Das wollen Sie doch wohl nicht wegwerfen? Vielleicht kann das Museum ja was damit anfangen...«
Er nickte. »Ich habe bereits mit dem Leiter von Surgeon's Hall gesprochen. Er glaubt, dass man dort eventuell für das eine oder andere Stück Verwendung hat.«
»Major Cawdor?«
Devlin hob die Augenbrauen. »Ach, Sie kennen ihn?«
»Ich habe wegen des Kennet-Lovell-Porträts mit ihm gesprochen.«
»Dann finden Sie meine Theorie also gar nicht so abwegig?«
»Ich habe sie mal etwas weiterverfolgt.«
»Wunderbar.« Devlin schlug die Hände zusammen. »Und was ist dabei herausgekommen?«
»Nicht sehr viel. Deshalb bin ich eigentlich hier. Ich habe nämlich in der Literatur nirgends einen Hinweis darauf entdecken können, dass Lovell sich als Amateurschreiner betätigt hat.«
»Aber das muss irgendwo erwähnt sein. Ich habe es doch vor vielen Jahren mit eigenen Augen gelesen.«
»Und wo?«
»In irgendeiner Monografie oder Dissertation... Kann ich nicht mehr genau sagen. Oder vielleicht in einer Diplomarbeit?«
Jean nickte bedächtig. Falls es sich um eine Diplomarbeit handelte, dann hatte allerdings nur die Universität selbst ein Exemplar davon verwahrt. Wissenschaftliche Bibliotheken
nahmen solche Arbeiten nicht in ihre Bestände auf. »Daran hätte ich natürlich denken können«, räumte sie ein.
»Aber eine bemerkenswerte Persönlichkeit, dieser Lovell, finden Sie nicht?«, fragte Devlin.
»Im Gegensatz zu seinen Ehefrauen hat er wenigstens das Leben voll ausgekostet.«
»Dann sind Sie also an seinem Grab gewesen?« Er lächelte über die Unsinnigkeit der Frage. »Natürlich sind Sie das. Und da haben Sie gesehen, dass er dreimal verheiratet war. Was ist Ihnen dazu eingefallen?«
»Zunächst gar nichts, aber als ich später noch einmal darüber nachgedacht habe...«
»Sind Sie auf die Idee gekommen, dass Lovell das Ableben der Damen womöglich ein wenig beschleunigt hat?« Wieder lächelte er. »Der Gedanke liegt sehr nahe, nicht wahr?«
Jean hatte plötzlich einen merkwürdig säuerlichen Geruch in der Nase. Es roch in dem Zimmer nach altem Schweiß. Auf Devlins Stirn standen Schweißperlen, und seine Brillengläser waren ganz verschmiert. Sie war erstaunt, dass er durch die Gläser überhaupt noch etwas sehen konnte.
»In der Tat dürfte kaum jemand so viele Möglichkeiten haben, einen Mord zu vertuschen, wie ein Anatom«, sagte er.
»Glauben Sie wirklich, dass er die Frauen umgebracht hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Das lässt sich nach so langer Zeit natürlich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Es ist lediglich eine Mutmaßung.«
»Aber weshalb hätte er das tun sollen?«
Devlin zuckte mit den Schultern und straffte seine Hosenträger
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