Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
vor dem Körper. »Weil er die Macht dazu hatte. Was meinen Sie?«
»Also, ich habe mir überlegt... Er hat ja bereits in sehr jungen Jahren bei Burkes Obduzierung assistiert. Vielleicht hat ihn das überfordert. Und vielleicht hat es ihn auch deshalb nach Afrika verschlagen...«
»Und nur Gott allein weiß, was für Schreckensbilder er dort gesehen hat«, führte Devlin ihren Gedanken weiter.
»Wenn wir wenigstens noch seine Korrespondenz hätten.«
»Ach, Sie meinen die Briefe, die er mit Reverend Kirkpatrick ausgetauscht hat?«
»Sie wissen nicht zufällig, wo die geblieben sein könnten?«
»Dem Vergessen anheim gefallen, nehme ich an. Von irgendeinem Nachkommen des geistlichen Herrn dem Scheiterhaufen überantwortet...«
»Ganz ähnlich so, wie Sie hier die Sachen ausmisten.«
Devlin musterte das Chaos ringsum. »So ist es«, sagte er. »Ich versuche, das auszuwählen, auf Grund dessen die Geschichte einmal meine bescheidenen Leistungen bewerten wird.«
Jean nahm ein Foto in die Hand. Auf dem Bild war eine festlich gekleidete Frau mittleren Alters zu sehen.
»Ihre Frau, nehme ich an?«, sagte sie.
»Ja, meine liebe Anne. Sie ist im Sommer 1972 gestorben, eines natürlichen Todes, das können Sie mir glauben.«
Jean sah ihn an. »Weshalb betonen Sie das so?«
Devlins Lächeln verschwand. »Sie hat mir alles bedeutet... ja, mehr als das...« Wieder schlug er die Hände zusammen. »Mein Gott, wo bin ich nur mit meinen Gedanken, nicht einmal etwas zu trinken habe ich Ihnen angeboten. Möchten Sie vielleicht einen Tee?«
»Tee wäre wunderbar.«
»Allerdings müssen Sie mit einem bescheidenen Beutelaufguss vorlieb nehmen. Damit kann ich keine Wunder vollbringen.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte irgendwie versteinert.
»Und könnte ich danach vielleicht Kennet Lovells Tisch sehen?«
»Aber natürlich. Der steht drüben im Esszimmer. Ich habe ihn mal bei einem sehr renommierten Händler erworben. Ich muss zugeben, dass die Provenienz nicht eindeutig geklärt ist, wie man so sagt... Trotzdem habe ich mich gern zum Kauf überreden lassen.« Er hatte die Brille abgenommen und polierte die Gläser mit dem Taschentuch. Als er sie wieder aufsetzte, erschienen seine Augen wie hinter Vergrößerungsgläsern. »Also, Tee«, wiederholte er, trat in den Gang hinaus, und sie folgte ihm.
»Wohnen Sie schon lange hier?«, fragte sie.
»Schon seit Annes Tod. An dem Haus hingen einfach zu viele Erinnerungen.«
»Also dreißig Jahre?«
»Ja, beinahe.« Er war jetzt in der Küche beschäftigt. »Dauert nicht lange«, sagte er.
»Gut.« Sie lenkte ihre Schritte wieder Richtung Wohnzimmer. Dann war seine Frau also im Sommer '72 gestorben... Jean kam an einer offenen Tür vorbei: das Esszimmer. Der Tisch nahm fast den gesamten Raum ein. Obenauf ein vollständig zusammengesetztes Puzzle... nein, ein Puzzleteil fehlte noch. Edinburgh - eine Luftaufnahme. Der Tisch selbst war überaus schlicht. Sie ging in das Zimmer, inspizierte die polierte Tischfläche. Die Beine waren fast ein wenig klobig, völlig ohne Verzierungen. Ein reiner Gebrauchsgegenstand, dachte sie. Die Arbeit an dem fast fertigen Puzzle mussíe viele, viele Stunden... ja, Tage in Anspruch genommen haben. Sie ging in die Knie und hielt nach dem fehlenden Puzzleteil Ausschau. Ach, da war es ja, fast ganz hinter einem der Tischbeine versteckt. Als sie sich bückte, um danach zu greifen, sah sie, dass der Tisch auf der Unterseite mit einem Geheimfach ausgestattet war. Wo die beiden Ausziehplatten in der Mitte zusammenstießen, war zur Stabilisierung noch ein Element eingefügt, das einen mit einer Klappe verschlossenen Hohlraum bildete. Ähnliche Vorrichtungen hatte sie schon öfter gesehen, doch im 19. Jahrhundert war so etwas eigentlich nicht üblich gewesen. Sie überlegte, ob der Händler Professor Devlin womöglich einen Tisch aufgeschwatzt hatte, der erst lange nach Lovells Tod entstanden war. Sie kroch so weit unter den Tisch, dass sie das Fach öffnen konnte. Doch die Klappe ließ sich nicht bewegen, und sie wollte schon fast aufgeben, als die kleine Tür plötzlich mit einem Klicken aufsprang und den Blick auf das Innere des Kästchens freigab.
Ein Hobel, ein Winkeleisen und verschiedene Holzbeitel.
Eine kleine Säge und ein paar Nägel.
Schreinerwerkzeuge.
Als sie wieder aufblickte, stand Professor Devlin in der Tür.
»Ah, da ist ja das fehlende Teil«, sagte er nur... Ellen Wylie hatte schon gehört, dass Ranald Marr plötzlich auf
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