Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
Woche mindestens vier Tage in London aufhielt. Das weiterhin am Charlotte Square ansässige Edinburgher Büro der Bank wurde von einem gewissen Ranald Marr geleitet, mit dem John Balfour schon seit vielen Jahren befreundet war. Die beiden Männer kannten sich bereits aus Edinburgher Universitätstagen und hatten anschließend in den USA gemeinsam ein Aufbaustudium in Ökonomie absolviert. Rebus hatte Balfour einen Investmentbanker genannt, aber bei dessen Finanzinstitut handelte es sich in Wahrheit um eine kleine, feine Privatbank, die für ihre ebenso vermögende wie statusbewusste Klientel die Geld- und Aktiengeschäfte abwickelte und die erlesene Kundschaft mit prestigeträchtigen in Leder gebundenen Scheckheften ausstattete.
In dem ersten Gespräch, das die Polizei mit Balfour geführt hatte, war man davon ausgegangen, dass jemand seine Tochter entführt hatte, um Lösegeld zu erpressen. Deshalb wurden nicht nur im Privatdomizil der Familie, sondern außerdem in den Büros der Bank in Edinburgh und London sämtliche Telefonanschlüsse überwacht. Auch die Post wurde von der Polizei in Empfang genommen. Falls es sich um eine Entführung handelte, konnten etwaige Lösegeldforderungen eben auch auf diesem Weg eingehen. Und je weniger Fingerabdrücke sich auf einem solchen Kuvert befanden, umso besser. Doch bisher hatte man lediglich ein paar Schreiben irgendwelcher Spinner abgefangen. Es kamen natürlich auch noch andere Motive infrage: zum Beispiel Rache wegen schief gelaufener Finanztransaktionen. Doch Balfour behauptete
steif und fest, keine Feinde zu haben. Dennoch hatte er der Polizei jeden Einblick in seine Kundenkartei verwehrt.
»Diese Leute bringen mir ihr Vertrauen entgegen. Ohne dieses Vertrauen ist unsere Bank erledigt.«
»Sir, mit Verlaub, aber möglicherweise hängt das Wohlergehen Ihrer Tochter davon ab.«
»Darüber bin ich mir völlig im Klaren.«
Danach hatte der ermittelnde Beamte das Gespräch mit Balfour in einer spürbar gereizten Atmosphäre fortgesetzt.
Tatsache war, dass die Balfour-Bank konservativen Schätzungen zufolge einen Marktwert von hundertdreißig Millionen Pfund hatte, wobei sich John Balfours persönlicher Anteil auf rund fünf Prozent dieser Summe belief. Genug Gründe also für eine professionelle Entführung. Aber hätte sich ein Entführer nicht inzwischen gemeldet? Rebus war sich nicht sicher.
Jacqueline Balfour war eine geborene Gil-Martin. Ihr Vater war früher im diplomatischen Dienst tätig gewesen, und die Familie nannte außerdem einen rund 2500 Hektar großen Besitz in Perthshire ihr Eigen. Der Vater war bereits gestorben, und die Mutter wohnte in einem kleinen Haus auf dem Landgut. Das Gut selbst war der Verwaltung der Balfour-Bank unterstellt, und Laverock Lodge - der eigentliche Herrensitz -erfreute sich seit einiger Zeit als Konferenzzentrum außerordentlicher Beliebtheit. Außerdem war dort eine Fernsehserie entstanden, deren Titel Rebus allerdings nichts sagte. Ein Universitätsstudium hatte Jacqueline nicht absolviert, vor ihrer Heirat hatte sie verschiedene Jobs gehabt, zumeist als persönliche Assistentin etlicher Geschäftsleute. Als sie John Balfour kennen lernte, auf einer Reise nach Edinburgh, zur Bank ihres Vaters, verwaltete sie das Laverock-Landgut. Ein Jahr später hatten die beiden geheiratet, und wieder zwei Jahre später war Philippa zur Welt gekommen.
Nur dies eine Kind. Auch John Balfour selbst war Einzelkind, während Jacqueline noch zwei Schwestern und einen Bruder hatte, die allerdings nicht in Schottland lebten. Der Bruder war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und zurzeit an der britischen Botschaft in Washington akkreditiert. Plötzlich drängte sich Rebus der Gedanke auf, dass es um die Zukunft der Balfour-Dynastie nicht sehr rosig bestellt war. Jedenfalls sprach kaum etwas dafür, dass Philippa es darauf abgesehen hatte, möglichst bald in Papis Bank einzusteigen. Deshalb begriff Rebus nicht recht, wieso ihre Eltern nicht alles daran gesetzt hatten, einen Sohn zu zeugen.
Mit den laufenden Ermittlungen hatten diese Erwägungen allerdings wahrscheinlich gar nichts zu tun. Doch gerade das faszinierte Rebus so an seinem Job: dass er im Geiste immer wieder neue Verbindungen herstellen, sich in das Leben anderer Menschen vertiefen musste und sich mit derartigen Fragen beschäftigen konnte...
Dann ging er die Unterlagen über David Costello durch. Der junge Mann war in Dublin geboren und zur Schule gegangen. Anfang der
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